Sabine Nielsen
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“Ein Stein gegen das Vergessen

8/7/2020

 
„Stolpersteine“ nennt man die kleinen Gedenktafeln im Bürgersteig ...
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„Stolpersteine“ nennt man die kleinen Gedenktafeln im Bürgersteig. Verlegt werden sie von dem Künstler Gunter Demnig, um an das Schicksal von Menschen zu erinnern, die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden -oder den wenigen, denen die Flucht gelang.  Juden; Sinti und Roma; politisch Verfolgte; religiös Verfolgte; Zeugen Jehovas; Menschen mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung; Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Hautfarbe verfolgt wurden; als „asozial“ verfolgte Menschen, wie Obdachlose oder Prostituierte; Zwangsarbeiter und Deserteure.

Am 29. Juni 2020 trafen wir - die Familie, Freunde, Bekannte und Interessierte -, uns vor dem kleinen Friesenhaus in Boldixum auf der Insel Föhr, in der Straße Grönland Nr 2, um so einen Stein zu verlegen.
Herr Demnig selbst war angereist, um die kleine Messingplatte auf ihrem Steinsockel im Kopfsteinpflaster vor dem Haus unserer Urgroßeltern zu verlegen.  Diese Aktion erlaubte uns, das Gedenken an eine Person, die lange in die Vergessenheit verdrängt worden war, zu ehren: Christine Jürgensen, die am 14. September 1944 im Zuge des T4 Programms (auch ‚Krankenmorde‘ oder ‚Euthanasie‘ genannt) ermordet wurde.

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   Herr Demnig selbst war angereist, um die kleine Messingplatte auf ihrem Steinsockel im Kopfsteinpflaster vor dem Haus unserer Urgroßeltern zu verlegen.  Diese Aktion erlaubte uns, das Gedenken an eine Person, die lange in die Vergessenheit verdrängt worden war, zu ehren: Christine Jürgensen, die am 14. September 1944 im Zuge des T4 Programms (auch ‚Krankenmorde‘ oder ‚Euthanasie‘ genannt) ermordet wurde.
 Als meine Schwestern und ich aufwuchsen, wurde diese Großtante nie erwähnt. Wir sahen nie Familienphotos, auf denen Christine eingeschlossen war. Nie erwähnte unsere Oma die Schwester. Wenn vom Leben im Haus Grönland Nr 2 erzählt wurde, kam Christine nie vor. Erst viel später entdeckten  meine ältere Schwester und ich ihren Namen auf dem Grabstein der Urgroßeltern und wunderten uns: Wer war denn Christine?
  Befragt, erzählte meine Mutter, dass Christine nach ‚Schleswig‘ gekommen war. Für uns Kinder bedeutete ‚Schleswig‘ damals nicht die Stadt mit dem schönen Altstadtkern, der Schlei, oder dem Wikingermuseum mit dem Danewerk – ‚Schleswig‘ war gleichbedeutend mit der ‚Irrenanstalt‘, die dort lag und von der jedes Kind wusste. ‚Schleswig‘ löste ein Gruseln aus – und die Angst vor dem ‚Anderen‘, dem ‚Nicht-Dazugehören‘, dem ‚Nicht-Richtig-sein‘.
​  Als ich viele Jahre später wieder mal nachfragte, was denn mit Christine geschehen sei, erfuhr ich, sie sei in ‚den Osten‘ gekommen und von dort hätte die Familie die Nachricht ihres Todes erhalten.
Die Tatsache, dass sie in Schleswig in die Heilanstalt eingewiesen wurde, ist erschreckend genug. Aber was passierte, wieso kam sie im Osten um? Keiner scheint es zu wissen, Papiere oder Dokumente bestehen nicht.
"T4" heißt das Programm der Nationalsozialisten, das eine Reinigung des deutschen Volkes bewirken und es von Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen - „nutzlose und asoziale Schädlinge“ - befreien sollte
Ich lese nach und recherchiere. Das T4 Programm der Nationalsozialisten basierte auf dem Prinzip der Eugenik. Es sollte eine Reinigung des deutschen Volkes darstellen - zwischen 1939 und 1945 wurden Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen als „nutzlose und asoziale Schädlinge“ bezeichnet, die die Volksgesundheit bedrohten und deshalb ermordet wurden. Mindestens 200.000 Menschen kamen so um.
   Zu diesem Zeitpunkt habe ich schon die ersten beiden meiner Föhr Krimis veröffentlich und ich beginne eine Handlung für den Dritten zu entwickeln, der auch diese dunkle Seite des Nationalsozialismus behandelt. Mein Sohn weilt zu der Zeit in Deutschland (ich lebe noch in Melbourne, Australien). Ich erzähle ihm am Telefon von meiner Idee und auch von der Großtante Christine. Wenige Tage später ruft er mich zurück. An der Uni Hamburg hat er eine Dozentin getroffen, die bereit ist, mir weiterzuhelfen!
Frau Dr. Beate Meyer ist assoziierte Wissenschaftlerin am Institut für die Geschichte der deutschen Juden und ist bereit, nach Christine zu suchen!
​   Erstaunlicherweise - ich habe damals nicht mal ihr Geburtsdatum! - findet Frau Dr. Meyer schnell den ersten greifbaren Hinweis auf das Schicksal unserer Großtante im Landesarchiv.
„Am 3. Juli 1920 wird das Dienstmädchen Christine Hermine Jürgensen von ihrem Vater in die Landesheilanstalt Schleswig-Stadtfeld gebracht. Der zuständige Staatsanwalt ist involviert, allerdings wird aus den wenigen handschriftlichen Notizen nicht deutlich, warum und in welcher Form. Neben einer Registrierkarte der persönlichen Dinge verrät die Akte nur, dass Frau Jürgensen am 12. August 1920 wieder nach Boldixum entlassen wird. Eine Diagnose oder andere Bemerkungen zu ihrer Krankheit oder Behandlung sucht man vergeblich. Das Fehlen von Behandlungsunterlagen deutet darauf hin, dass sie wieder in Stadtfeld eingewiesen wurde und von dort in eine Tötungsanstalt verlegt wurde.“
   ​Die Spur scheint also 1920 zu verlaufen. Blieb Christine in Schleswig – bis an ihr Lebensende? Meine Schwester erzählt, dass unsere Oma ihre Schwester Christine einmal in Schleswig besucht haben soll. Es scheint unmöglich, mehr herauszufinden.
   Und doch geistert Christine immer mal wieder durch meinen Kopf - beharrlich erinnert sie an sich, bis ich eines Tages entschließe, mehr über sie herauszufinden. 2008 rufe ich eine ihrer direkten Nichten an, Bernice, die inzwischen in Amerika lebt. Sie erinnert sich an die Tante, die sie wegen ihrer Sonderlichkeit ängstigte. Einmal soll sie des Nachts durchs Haus gegeistert sein – schreiend drohend, das Haus anzuzünden. Ihre Nichte war damals ein kleines Mädchen, natürlich hat sie der Vorfall erschrocken. Ein noch lebender Neffe jedoch hat warme Erinnerungen an sie. Es wird auch berichtet, dass Christine still war und sehr schön sticken konnte. Viele Jahre später erbt meine ältere Schwester, eine Tischdecke, die Christine mit einem feinen Kreuzstichmuster bedeckt hat.
    Eine Cousine - Christines Großnichte - gibt mir die Kopie eines Photos, auf dem Christine mit ihren Eltern und Schwestern dargestellt ist. Zum ersten Mal sehe ich diese Person, die mir bis dahin immer etwas unwirklich erschien. Ich bin tief berührt – vor allem, da sie meiner Oma sehr ähnlich sieht, die gleiche aufrechte Haltung, das ernste Gesicht.
Fast zehn Jahre später, 2017, entdecke ich im Hause meiner Großeltern, das mein Mann und ich inzwischen übernommen haben, eine alte Familienbibel. Und darin, in deutlicher Handschrift, eine Liste der Familie Jürgensen – geschrieben von Christines Vater!
  
(Photo: Die Taufe von Uwe Nielsen, 1923. Louise und Christian Jürgensen sitzend; stehend von links: Hanna, Meta und Ewald Nielsen, Lieschen, Christine)
Drei Schwestern hatte sie. Meine Oma, Meta, war die Älteste. Dann kam Johanna, Hanna genannt; Christine (Stine) und schließlich Luise oder Lieschen.  Die Eltern waren Christian Emil Jürgensen, ein ‚Landmann‘, der aber nicht von Föhr stammte, und Louise Marie, geborene Beck, aus Borgsum auf Föhr.

  Langsam kann ich mir ein Bild von der Familie machen – mit Hilfe der Cousine, deren Mutter, Lucy, als Kind in dem Haus in Boldixum aufgewachsen ist. Das Haus steht immer noch in Grönland Nr 2, obwohl es inzwischen abgerissen und wieder neu aufgebaut wurde (auf demselben Grundriss). Steht man heute vor dem Haus, ist es schwer sich ein sechs-köpfige Familie dort vorzustellen. Es ist ein typisches kleines Friesenhaus – strohgedeckt, mit einem niedrigen Dach und einem Heuboden. Die ganz linke Seite des Hauses nahm der Stall ein. Hier standen Uropa Jürgensens Kühe und sicher auch das eine oder andere Schwein. Bis zu seinem Tode hielt er Kühe, als er zu alt wurde, sie selbst zu melken, mussten die Enkelin Lucy und ihr Mann morgens nach Boldixum radeln, um zu melken.
  Auch Äcker und Felder besaß er, und während seine Enkelkinder sich an fröhliche Kutschfahrten zur Wrixumer Mühle erinnern, wo das Korn gemahlen wurde, fanden sie die harte Feldarbeit, an der sie im Sommer und Herbst teilnehmen mussten, nicht so lustig. Aber Uropa Jürgensen war streng und bestand auf der Hilfe seiner Familie.
  Auf der rechten Seite des Hauses fand man die Küche, die ‚gute‘ Stube, auf Grund der Delfter Kacheln an den Wänden das ‚Kachelzimmer‘ genannt, und das holzgetäfelte Zimmer. Dort standen die Alkoven, in denen die Eltern und Töchter schliefen.
  Sicher hätte Uropa Jürgensen sich einen Sohn gewünscht, der seinen Bauernhof hätte übernehmen können. Aber er kann auf seine Töchter stolz sein. Drei von ihnen heiraten bodenständige, fleißige Handwerker. Meta ehelicht 1922 den Tischlermeister Ewald Nielsen aus Wyk. Hanna heiratet wenige Monate später den Sohn einer bekannten Wyker Bäckersfamilie. Er selbst ist Elektriker und er wandert mit seiner Hanna nach Amerika aus.
  Leider stirbt er sehr früh an Krebs und Hanna kehrt mit zwei kleinen Mädchen (Lucy und Bernice) zurück ins Haus in Boldixum. Sie lebt dort bis an ihr Lebensende – als Uroma Louise stirbt (noch vor dem Zweiten Weltkrieg) führt Hanna dem Vater das Haus und pflegt ihn bis zu seinem Tode.
Die jüngste Tochter, Lieschen, heiratet einen erfolgreichen Bauunternehmer. Sie ‚wandert‘ nach Bordelum aus – und leidet ihr Leben lang an Heimweh nach Föhr! Sie kehrt oft zu Besuchen zurück.
Wahrscheinlich war es ein Segen, dass Uroma Louise so früh starb, sie erlebte nicht mehr, das grausame Schicksal, das ihrer Tochter Christine widerfuhr.
  Ungleich ihrer Schwestern heiratete Christine nicht. Zum Ende des Ersten Weltkrieges erlag ihr Verlobter seinen schweren Verletzungen. Es heißt, er starb einen schmerzhaften Tod auf dem Operationstisch. Christine war verzweifelt und fiel in eine schwere Depression, von der sie sie sich nie erholte. Eventuell litt sie an einer manischen Depression, das könnte das Schreien und die Drohung erklären, an die ihre Nichte Bernice sich erinnert. Jedenfalls liefert  ihr Leiden sie dann 24 Jahre später in die Hände der Nazis aus, die ihr Leben als ‚nutzlos‘ klassifizierten, ihre Person als eine Bedrohung der Reinheit des Deutschen Volkes.

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             2018 schlägt meine ältere Schwester vor, einen Stolperstein für Christine legen zu lassen.

  Es ist Zeit, sich ernsthaft mit dem Schicksal Christines zu beschäftigen.Zögerlich wende ich mich an den Verein Stolpersteine.eu. Erstaunlicherweise wird mir versichert, dass auch die karge Information, die ich zu diesem Zeitpunkt besitze, genügt - Christines Name, ihr Geburtsort und Datum, ihre Einweisung in die Heilanstalt Schleswig-Stadtfeld 1920. Die Verlegung kann aber erst in etwa einem Jahr stattfinden, weil Herr Demnig alle Steine selbst verlegt.
   Inzwischen habe ich auch bei einem Besuch auf unserem Dachboden alte private Briefe gefunden, aus der Zeit von 1905 bis etwas 1970! Sie sind zum größten Teil in der alten Kurrent und in Süterlinschrift geschrieben, die ich nicht lesen kann. Aber eine andere Cousine hat es sich zum Hobby gemacht, diese Schriften zu studieren und sie übersetzt geduldig die vielen Briefe.
   Und erstaunlicherweise erscheinen hier wieder Hinweise auf Christine. 1940 sendet ein Onkel aus Hamburg Grüße an die Familie in Boldixum – einschließlich Christine. 1940 lebt sie also im Haus Grönland 2 in Boldixum!
Nachfragen bei ihren direkten Nichten und Neffen bestätigt diese Auskunft: Nach ihrem kurzen Aufenthalt in Schleswig-Stadtfeld im Jahre 1920 lebt Christine bei ihren Eltern. Später stößt dann Hanna, aus Amerika zurückgekehrt, mit ihren beiden Töchtern, Lucy und Bernice, dazu. Wieder einmal sind die Alkoven in der getäfelten Stube wohl besetzt!
   Doch dann erscheint ein Brief aus dem Jahre 1941. Hier erkundigt sich eine Bekannte aus Schleswig nach Christine und fragt, ob sie Christine in Schleswig-Stadtfeld besuchen sollte?
1941 ist Christine also wieder in der Heilanstalt. Wie ist sie dort hingekommen? Warum?
Da die Stadtfelder Patientenakten vernichtet worden sind, wissen wir keine Antwort darauf, wir können nur spekulieren. Verschlimmerte sich ihre Krankheit? War es für die Familie zu schwer, Christine zu Hause zu behalten - in dem politischen Klima, in dem Ahnenpässe jede Familie registrieren und eine Behinderte einen Schatten auf das Leben ihrer Familie werfen kann? Wurde sie denunziert oder zwangseingewiesen?
Es ist nicht bekannt. 1941 ist sie also wieder in Stadtfeld – aber wie kam sie nach Pommern?


  Ich suche im Kirchenarchiv nach Christines Todesurkunde. Die Kirchenbücher aus der Zeit liegen in der Ferring Stiftung in Alkersum auf Föhr. Ich besuche den Archivar – mit wenig Hoffnung, die Information zu erhalten, die ich suche. Jedoch, wenige Minuten später erscheint Herr Jannen mit einem gebundenen Buch, aufgeschlagen an der richtigen Seite. Nun liegt uns Christines Geburtsurkunde vor! Geboren wurde sie am 5. September 1902, sie war also erst 18 Jahre alt, als sie 1920 in Schleswig-Stadtfeld eingewiesen wurde.
Und ganz unten rechts, versehen mit einem Stempel des zuständigen Standesamts Mesewitz/Obrawalde
​ihr Todesdatum:               22. September 1944 in der ‚Heil- und Pflegeanstalt Meseritz‘.
Photos: Ingo Wille 
​

​   Da ist er also: der Beweis, dass Christine tatsächlich in „den Osten“ kam und dort starb.

Ich erneuere den Kontakt zu Frau Dr. Meyer, die inzwischen Teil eines Netzwerkes von Leuten ist, die sich alle mit den Opfern der Nazis beschäftigen und die unermüdlich recherchieren, Archive einsehen und Orte bereisen, wo noch Akten aufzufinden sind. Frau Dr. Meyer leitet meine Anfrage an den ‚Stolpersteinforscher‘, Herrn Ingo Wille weiter. Später sendet Herr Wille mir die Photos, die er selbst bei einem Besuch in Mesewitz gemacht hat.
  Dann stoße ich mit Hilfe von Frau Dr. Myer und Herrn Wille auf Dr. Harald Jenner. Er findet einen kurzen Eintrag im Aufnahmebuch Schleswig-Stadtfelds, nämlich dass Christine Jürgensen am 14. September 1944 aus Stadtfeld nach Meseritz in die „Heil- und Pflegeanstalt Obrawalde“ deportiert wurde. Eine Diagnose oder ein Befund zu ihrem Zustand fehlen.
  Noch erschreckender ist folgende, begleitende Notiz:​
Am Abend des 14. September 1944 wurde sie zusammen mit 700 Patienten der „Heil- und Pflegeanstalt am Stadtfeld“ und der „Landespflegeanstalt Hesterberg“  durch die Stadt zur Rampe des Güterbahnhofs geführt. Sie trugen an ihren Füßen Holzpantinen. Der Hintergrund war, dass die Kieler Uniklinik 1944 ausgebombt worden war; der Platz wurde benötigt.
Dies war der größte Patiententransport. Sie wurden in die Landesheil- und Pflegeanstalt Obrawalde bei Mesewitz in Pommern gebracht. Wussten sie, dass sie dort der Tod erwartete?
  Am 22. September 1944, nur zehn Tage später, wurde Christine wurde in Mesewitz getötet.
  Zu ihrem Tod kann ich nur hinzufügen, dass verschiedene Methoden angewandt wurden, um Krankenmorde auszuführen. Wenn es nicht drängte, ließen die Obrigkeiten die Patienten einfach verhungern, indem sie fleischlose, fettarme Kost einsetzten. Manchmal wurden die verschriebenen Beruhigungsmittel einfach erhöht, so dass die Patienten oft an Lungenentzündungen starben. Erschießungen waren auch üblich. Ich nehme an, dass wegen der großen Anzahl der eingelieferten Patienten und dem Zeitpunkt zum Ende des Krieges, die Wahl auf Gift fiel. Manchmal wurde den Familien ein Häufchen Asche zugesandt, angeblich die Asche des Verstorbenen, aber man weiß aus Berichten, dass die Asche der Toten nicht getrennt wurde.
Die Stolpersteinverlegung hat uns unsere Großtante Christine gegenwärtig gemacht. In unseren Gesprächen und Gedanken taucht sie wieder auf. Sie hat ihren Platz in unserer Familie wieder eingenommen - und das ist schön.
Dafür sind wir Herrn Demnig und seiner Initiative sehr dankbar.

„Jeder Stolperstein erinnert an einen Menschen, gibt ihm den Namen zurück und wieder einen Platz in unserer Gesellschaft.“​
​Ein weiterer Stolperstein liegt in Wyk – vor dem Hotel Atlantis, Sandwall 29, für Elsa von Biela, geb Jacobsen, geboren 1877, deportiert 1942.

Hört das
Interview zur Stolperstein Verlegung vom 6. Juni 2020  im Friisk Funk - ein bisschen Geduld, nach der Einleitung geht es gleich auf Deutsch weiter: 
http://media.oksh.de/friiskfunk/2020/Juli/Stolperstein_live.mp3

Photos:Karin Richert (Portrait Gunter Demnig)  Erk Roeloffs, Dr. Beate Meyer und Freunde
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Christines Schicksal war der Anstoß für meinen dritten 'Föhr-Krimi' - Die Villa Blanke Hans. Als ich das Buch schrieb, war mir sehr wenig über ihr Schicksal bekannt - es ist also nicht Christines Geschichte, aber es ist ihr gewidmet. "Die Villa Blanke Hans" ist im Buchhandel für 12 Euro erhältlich.

“Love in the times of the Cholera “ …Oder: Was macht Autorin in Zeiten des Corona Virus‘?

17/5/2020

 
Immer wieder geht mir in den letzten Monaten der Titel von Gabriel Garcia Marquez‘ wunderbaren Romans – Liebe in den Zeiten der Cholera –
​durch den Kopf!  Was macht Autorin in Zeiten des Corona Virus‘?

​Sicher, als Autorin hat man seinen Schreibtisch vor Ort und ist an home office gewöhnt. Auch sollte man sich freuen, endlich mal wieder in Ruhe und ohne Unterbrechungen arbeiten zu können – ich gebe eh gerade einem Roman, der für nächstes Jahr geplant ist, den letzten Schliff, bevor er zum Verleger kommt.
Natürlich ist es ärgerlich, dass die Buchläden eine Zeitlang brach liegen und auch die mühsam aufgebauten Möglichkeiten zur Vermarktung meiner Bücher flachfallen – die monatlichen Lesungen und Vorträge, die geplant waren und die immer wieder abgesagt und verschoben werden! Die direkten Verkäufe auf dem Föhrer Fischmarkt.
Seitdem wir wieder auf Föhr leben, hat sich bei mir nämlich die Öffentlichkeitsarbeit wesentlich vermehrt – und die macht mir sehr viel Spaß!
Eine Reihe richtig interessanter Vorträge und Lesungen standen im Programm - bei der VHS, im Veranstaltungszentrum und an zwei der Kurkliniken!
Der Kontakt zur Öffentlichkeit fehlt mir – genauso wie mein Stand auf dem Wyker Fischmarkt, wo ich es liebe, zu (potentiellen) Lesern Kontakt aufzunehmen, Leute kennenzulernen und - oft - ihre Geschichten zu hören ...
​Das alles ist ein wunderbar Ausgleich zur Schreibtischarbeit!
​Ja, und gerade da meldet sich der Verleger! Schon seit vorletztem Jahr liegt ihm ein Manuskript vor, dessen Veröffentlichung für dieses Jahr geplant ist.
Ich hatte ‚Die Insel der Zeitlosen‘ als Erzählung konzipiert. Eigentlich hatte ich  es mir zusammen mit ‚Tante Friedas Freude an Bestattungen‘ vorgestellt (da es von genau dem Gegenteil von Bestattungen handelt – logisch, nicht?).
Das hielt der Verleger aber für nicht eine so gute Idee, also erschien Tante Frieda solo und ohne Begleitung – was ihr wahrscheinlich auch ganz recht war.
Letztes Jahr kam dann auch das zweite Kinderbuch in der Ole Hannsen Serie heraus, wo Ole den Eiswinter auf der Insel Föhr erlebt, und ‚Die Villa Blanke Hans‘, der dritte Teil in der Föhrer Krimi Serie, musste neu aufgelegt werden.
Aber jetzt ist die ‚Die Insel der Zeitlosen‘ dran ... und gerade da, pünktlich zum Eintritt des Corona shut-downs kommt die Mail vom Verleger!
Ja, das Manuskript sei ja so ganz gut, aber eigentlich könnte es noch besser sein ... Er wisse ja, wessen ich fähig sei und ich würde schon sehen, wie ich das angreifen könne und hier seien auch gleich ein paar Anregungen ...!
Wow, nach dem ersten Schock - wer sieht schon gern sein Werk kritisiert? Und wenn es verbessert werden könnte, ist es ja nicht gut genug, oder? – also nach dem ersten Schock reiße ich mich zusammen und lese seine Mail nochmals vorsichtig durch. Empörung, Wut, Frust - ja Verzweiflung, lösen sich ab.
Am liebsten würde ich das Manuskript jetzt dem Schredder füttern, mehr verdient es nicht ...
... und dann beginnt sich ganz zart etwas zu regen. Eine winzige Idee flattert durch meinen Kopf, regt und streckt sich, lockt wie ein erfrischendes Getränk am Horizont einer langen Durststrecke.
Mmm, man könnte natürlich ... es wäre ja möglich ... und überhaupt, vielleicht würde schon eine neue Einleitung genügen. Einen Ich-Erzähler will er, den, meint er, braucht die Geschichte noch, um sie abzurunden. Auch das Ende hängt noch ein bisschen in der Luft, sagt er.
Ziemlich schnell schreibe ich eine neue (kurze) Einleitung, die auch gleich einen Abschluss anbietet. Das neue Kapitel saust mit einem Druck auf die Taste ‚senden‘ ab und ich freue mich, dass ich mich so ziemlich schnell und mühelos aus der Affäre gezogen habe. Nun kann ich mich wieder dem neuesten Manuskript zuwenden ... allerdings, zwei Tage Pause sei mir gegönnt.
Erfrischt und voller Entschlossenheit kehre ich nach der Auszeit an den Computer zurück. Und finde eine weitere Mail des Verlegers vor: Das Kapitel, das ich ihm sandte, sei doch schon der richtige erste Schritt! So könnte es weiter gehen!!
Ja, und da meldet sich die friesische Sturheit, die ich anscheinend von meinen Föhrer Urahnen geerbt habe. Also gut, dem Verleger werde ich es zeigen.
Außerdem hat sich inzwischen der Herr, den ich zum Ich-Erzähler erkoren habe, auch schon wieder gemeldet. Ja, er lässt sich gar nicht mehr abschalten – unbedingt will er seine Geschichte und die Rolle, die er meint, in der Erzählung haben zu müssen, an den Mann bringen. Dabei ist er auch noch so ein nüriger Mensch, steif, äußerlich schweigsam – aber na  gut, vielleicht ein aufmerksamer Beobachter.
„Sie brauchen ihn auch gar nicht zu mögen“, schreibt der Verleger und schwafelt dann von einem Kometen! Einem Kometen, ich bitte euch ... obwohl, natürlich, dass könnte die Lösung sein, das, was die Zeitlosigkeit, die die Insel befällt, auslöst ... Besser vielleicht noch als meine eigenen Theorien.
​Also lösche ich die ‚neue‘ Einleitung und fange noch einmal ganz von vorne an.
      Der Erzähler drängt sich in das Geschehen, entwickelt ein ganzes Eigenleben. Ist nicht mundtot zu kriegen. Ein richtiger Schnatterbüttel – wer hätte das gedacht, von so einem stillen Herrn?
Fast einen Monat dauert es, bevor das neue Manuskript an den Verleger zurückgeht. Hämische Freude: Die Strafarbeit, die er mir auferlegt hat, fällt ihm jetzt in den Schoß, muss er doch nun das Ganze neu lesen und lektorieren! Aus einer Erzählung ist nämlich ein Roman geworden, die Seitenzahl hat sich locker verdoppelt!
Ist das Buch besser geworden? Doch, ich denke schon ... manchmal braucht es halt einen kleinen Anstoß von außen.
 Und während jetzt der Herr in seinem Büro an der Fertigstellung arbeitet, warte ich gespannt auf das Resultat, das fertige Buch ... und widme mich indessen dem, das dann fürs nächste Jahr geplant ist und den Arbeitstitel ‚Septembermuun‘ trägt, obwohl, das könnte sich auch noch ändern.
Dann ist da ein weiteres Ole Abenteuer, das in meinem Kopf schon Form annimmt – nach ‚Ole Hannsen geht auf Löwenjagd‘ soll ‚Ole Hannsen geht auf Piratenfahrt‘ folgen ...
Was macht Autorin in der Zeit der Cholera, äh, des Corona Virus‘?
Sie schreibt mal schnell ein Buch um. Wer weiß, vielleicht ist das Gabriel Marcia Marquez auch mal passiert.
 
                                    ‚Die Insel der Zeitlosen‘ erscheint demnächst im ihleo verlag, Husum.
                                                                                Watch this spot!
 
                    Und wenn ihr Föhr vermisst, dann taucht doch mal in meine Romane und Geschichten ein –
​                                                           alle im Buchhandel oder online erhältlich!

Nach Australien durch die Hintertür

21/2/2019

 
​Wohnungssuche statt Sight Seeing, Arbeitssuche statt Abenteuer.
‘She’ll be right, mate’ statt deutscher Pünktlichkeit und Ordnung …
Als ich 1972 zum ersten Mal die Küste Australiens vom Deck der MS Fairstar als dünnen Strich am Horizont erspähte, näherte ich mich diesem riesigen Kontinent nicht als Touristin. In meinem Kopf schwirrten keine Ausflugsziele, ich träumte nicht von der Jagd auf Souvenirs oder hungerte darauf, ungewöhnliche australische Spezialitäten wie Krokodil, Witchetty Grubs (Maden) oder typisches Bush Tucker (wilde Beeren, Wurzeln oder australische Früchte) zu kosten. Zwar hoffte ich, eines Tages das Outback zu erforschen, aber erst einmal ging es nach Melbourne – und nicht ins “Southern Cross Hotel”, damals die Schickeste von allen  Unterkünften, sondern in das Familienheim meines Zukünftigens, in Frankston einem konservativen, typisch angelsächsischen Vorort Melbournes.
​Ich traf nicht als Touristin ein, sondern als Einwanderin. 
In den folgenden Wochen lernte ich die große ‘neue’ Familie kennen, bezog mit meinem Mann mein erstes Heim (eine winzige Wohnung in einem mir sonderbar anmutenden Baustil), stolperte immer wieder über den australischen Slang und nahm einen Job in der Delikatessen Abteilung eines großen Supermarkts an, wo ich die Kunden meistens nicht verstand … nicht das Englisch war das Problem, sondern die seltsamen Ausdrücke! Sie fragten nach ‘Beef German’ (eine Art Mortadella),  ‘Middle Rashers’ (Speck in Scheiben) oder Kabana (eine Art Salami, in die man wie in ein Würstchen beißt).
Ich lernte, mit einer anderen Sprache, einer anderen Kultur und anderen Regeln zu leben. In den nächsten 45 Jahren lernte ich viel über die Australier – alle von ihnen mit einem ‘Migrations Hintergrund’! - und began schließlich, eine Art Bilanz über das Leben der Einwanderer in diesem riesigen und multikulturellen Land und über Integration zu ziehen.
 
Das Resultat war "Ein bisschen Heimat im Gepäck"
Ich sprach mit zwölf deutschen Einwanderern. die in den Jahren von 1935 bis 1956 ihre Heimat verließen, um ein neues Leben in Australien zu beginnen. Ihre Lebensberichte faszinieren mich immer noch - und weil sie mir ihre Herzen freiwillig so weit öffneten, musste ich dann zum Schluss auch noch meine eigene Geschichte aufschreiben!

Über das Erlebnis Einwanderung berichte ich in einer Erzählstunde in der Klinik Sonneneck in Wyk auf Föhr
Nach Australien durch die Hintertür
Am Sonntag den 3. März
Um 19 Uhr
Im Clubraum der Klinik Sonneneck
Osterstrasse 2, Wyk auf Föhr

Eintritt frei  --- Alle herzlich willkommen

Unsere United States auf Föhr

20/1/2018

 
Vor kurzem saßen wir in einer Gruppe zu zehnt zusammen und sprachen über unsere Heimatländer, unterschiedliche Kulturen, die Vielfalt der Sprachen und heimatliche Genüsse. Als wir dann durchzählten, wie viele Nationen sich zu diesem Zeitpunkt in diesem Raum versammelt hatten, kamen wir auf sieben! Gemeinsam vertraten wir Afghanistan, Deutschland, Eritrea, den Irak, Iran,  Somalia und Syrien.
Wir begannen die verschiedenen Nationalitäten zusammen zu rechnen, die auf der Insel Föhr leben. Da gibt es die alteingesessenen Friesen (mit ihrer eigenen Sprache, dem Fering); die plattdeutsch- oder hochdeutsch sprechenden Föhrer; die Föhr-Amerikaner (die nach dem 2. Weltkrieg Glück- und Arbeit suchend nach Amerika auswanderten); die Dänen, die seit der Volksabstimmung im Jahre 1920 zur dänischen Minderheit auf unserer Insel gehören – und außerdem alle die Zugewanderten: Menschen aus anderen Teilen Deutschlands, aus Polen, der Tschechischen Republik, Rumänien, Russland, der Ukraine, Sibirien, Tschetschenien, Frankreich, Italien, Griechenland, der Türkei, China, Australien – sogar Schweizer finden regelmäßig den Weg in den Norden und wahrscheinlich viele Andere, die ich noch nicht getroffen habe.
Nicht schlecht für eine kleine Insel von knapp 10.000 Einwohnern!
Wahrlich: Wir vertreten die ‘Vereinigten Staaten Föhrs’!

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45 Jahren in 2000 Zeichen

27/11/2017

 
“Schiete!” sage ich. Wir stehen im Supermarkt an der Kasse, als der Kassierer uns darauf hinweist, dass sich der Deckel am Töpfchen Schlagsahne gelöst hat. Die Sahne kleckert auf den Boden und das Fließband.
​“Ich zieh das schon mal ab und Sie holen sich einen Neuen,” rät der Kassierer.
‘Schiete’ – habe ich gesagt! Laut und deutlich und in Hörweite der anderen Kunden, die aufs Bezahlen warten. Aber wir sind hier auf Föhr und da stört sich keiner dran! Sogar meine Mutter sagte ‘Schiete’, wenn was schief gegangen war – aber wehe, eine von uns hätte den hochdeutschen Ausdruck benutzt – o weia!
Ich mache mich also auf zum anderen Ende des Supermarkts, um mir ein neues Töpfchen Schlagsahne zu holen und könnte vor Freude hüpfen! Dies kleine Wörtchen, was mir so flugs, so spontan und auf Deutsch entkam, war mal wieder einer dieser Momente, wo ich mich so zu Hause fühlte – so angekommen!

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Hop ist Hip auf Föhr!

11/8/2017

 
​“Nach einer Aufführung ist man fix und fertig. Mindestens einen ganzen Tag danach hat man Muskelkater!”
Die Gruppe von Mädchen um Nadja Scherer stimmt laut stöhnend zu – und trotzdem strahlen ihre Gesichter! Denn das, was den Muskelkater auslöst ist ja der HIP HOP und den zu tanzen macht einfach Spaß.
Moment mal, Hip Hop – hier auf Föhr?
Na klar!
Als Nadja Scherer und Ihre Schwester Ramona von Oberfranken auf die Insel zogen, merkten sie schnell, dass hier noch Platz für was echt Cooles war – also gründeten sie “TDS” – kurz für “The Dancing Shoes”.
Ramona und Nadja haben immer getanzt. Beide waren lange in der Garde (die Tanzgarde, die man hier am besten von den Karnevalsumzügen kennt). Von den akrobatischen Sprüngen und Tänzen der Garde ist der Schritt zum Hip Hop wohl gar nicht so weit.
“Man muss fit sein,” stimmen Nadja und die anderen Mädels der TDS zu. “Durchhaltevermögen ist unbedingt nötig und  man darf die Konzentration nicht verlieren. Wenn man einen Fehler macht, dann muss man einfach weiter tanzen, wenn man aufhört, sieht das Publikum das doch sofort.”
Zuschauen macht Spaß, denn Hip Hop setzt auf Show!

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Das Schreiben erlaubt mir, mich in die Welt meiner Charaktere zu versetzen. Ich probiere andere Leben aus und begebe mich manchmal auf recht abenteuerliche Wege.

Mit Sabine klöhnen (plaudern)

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