Wie man auf der Insel Föhr auf seine eigenen Grenzen stößt und Politik zu verstehen lernt
Der Fußweg wird von einem Grüppchen Fahrradfahrer versperrt.
Ganz offensichtlich sind sie keine Tagesausflügler. Sie sind auch nicht Wyker auf dem Weg zum Einkauf, nein, diese Leute sind ernsthafte Radler. Das sieht man allein an ihrer Kluft: eng-anliegende Trikot Hosen; feste Schuhe; gegürtete, Wind- und Wetterfeste Jacken; solide Fahrradhelme und – hier eher unbekannt – Schutzbrillen (auf Englisch ‘goggles’ genannt), zeichnen sie als Langstreckenfahrer aus. Auf ihren Gepäckträgern ist Reisegepäck festgezurrt.
Der Mann in der Gruppe entfaltet etwas ungeschickt eine Straßenkarte auf seinem Sattel und wendet sie ratlos hin und her. Sie stehen vor einer Ferienpension, deren Zimmernachweis ‘belegt’ anzeigt.
“Kann ich Ihnen behilflich sein?” frage ich.
“Wir suchen eine Un-ter-kunft,” antwortet der Herr – in reinem schweizerischen Tonfall. Er legt die Betonung auf die erste und dritte Silbe des Wortes ‘Un-ter-kunft’.
Ganz offensichtlich sind sie keine Tagesausflügler. Sie sind auch nicht Wyker auf dem Weg zum Einkauf, nein, diese Leute sind ernsthafte Radler. Das sieht man allein an ihrer Kluft: eng-anliegende Trikot Hosen; feste Schuhe; gegürtete, Wind- und Wetterfeste Jacken; solide Fahrradhelme und – hier eher unbekannt – Schutzbrillen (auf Englisch ‘goggles’ genannt), zeichnen sie als Langstreckenfahrer aus. Auf ihren Gepäckträgern ist Reisegepäck festgezurrt.
Der Mann in der Gruppe entfaltet etwas ungeschickt eine Straßenkarte auf seinem Sattel und wendet sie ratlos hin und her. Sie stehen vor einer Ferienpension, deren Zimmernachweis ‘belegt’ anzeigt.
“Kann ich Ihnen behilflich sein?” frage ich.
“Wir suchen eine Un-ter-kunft,” antwortet der Herr – in reinem schweizerischen Tonfall. Er legt die Betonung auf die erste und dritte Silbe des Wortes ‘Un-ter-kunft’.
‘Du meine Güte, sind sie gerade von der Schweiz hierher geradelt, ohne sich im Vorfeld eine Unterkunft zu sichern?’ fährt es mir durch den Kopf.
Föhr steht im kurz-vor-der-Hauptsaisonfieber, jetzt auf gut Glück ein Zimmer zu ergattern, kann man mit den Chancen Österreichs, Schwedens oder der Türkei vergleichen, durch ein verspätetes Tor doch noch ins Achtelfinale der EM zu kommen.
‘Wie lange radelt man wohl von der Schweiz hierher, der Insel Föhr, dem beinah nordwestlichsten Punkt Deutschlands?‘ versuche ich zu kalkulieren.
“Hier gibt es doch eine Tourist Information?” fragt der Mann unsicher.
Sie haben es von der Schweiz hierher geschafft und sind dann direkt am Hafen an der Tourist Information vorbeigefahren – um mitten in Wyk zu landen.
Ich weise sie in die richtige Richtung und wünsche ihnen viel Glück. Sie werden es brauchen.
Schweizer sind auf Föhr nicht ungewöhnlich. Schwyzerdütsch mischt sich unter die vielen verschiedenen Dialekte, Sprachen und Tonfälle, die man hier täglich hört. Neben unseren eigenen norddeutschen Klängen, neben plattdeutsch und Fering (Föhrer Friesisch), trifft man auf die unserer Nachbarländer: Dänemark, Frankreich, Polen, der Tschechischen Republik und vielen mehr. Je nachdem, welches Bundesland gerade in die Ferien tritt, wird man wird man auf sächsisch, bayrisch oder Berlinerisch angesprochen. Alle Bundesländer und Regionen sind hier vertreten: Pfälzer, Hessen, Bader usw. Außer den Einheimischen zählen wir hier Zugezogene (vernünftige Menschen, die die Vorzüge Föhrs zu schätzen wissen), Rückkehrer (wie mich selbst) und Einwanderer (oder, wenn Sie wollen: Asylanten) aus der ganzen Welt – Föhr ist eine multikulturelle Nation.
Auch der EU sind wir wohlbekannt – diese hat unsere Promenadenerweiterung gefördert, jawohl.
Aber kommen Sie uns jetzt nicht mit dem Brexit Debakel – wir haben hier unsere eigenen, schwerwiegenden Auseinandersetzungen - mit der FA-U. Nie gehört?
Ich spreche von der “Föhr-Amrumer-Union”, die momentan ernsthaft bedroht ist und uns keine Zeit lässt, auswärtige Politik zu diskutieren, auch wenn es sich da um einen Inselstaat wie dem unsrigen handelt.
Gerade läuft hier nämlich eine wichtige Diskussion ab, die unsere Tageszeitung und Gemüter fast täglich beschäftigt. Verhandlungen, die seit Monaten diskutiert werden und ein diplomatisches Geschick und Feingefühl verlangen, vor dem die Brexit Verhandlungen verblassen. Worum es geht?
Die Kurabgaben, die dem Amt Föhr-Amrum (die beiden Inseln werden gemeinsam verwaltet) zufließen sollen.
Seit etwa 2008 diskutieren die Gemeinden von Föhr und Amrum über eine einheitliche Kurabgabe. Momentan ist es so, dass die Kurgäste und Gewerbebetriebe in der Stadt Wyk eine höhere Kurabgabe bezahlen, als die Gäste und Betriebe, die in den Dörfern walten. (Unterschiedliche Kurtaxen gibt es, da den Gästen z.B. in der Stadt ein größeres Programm geboten wird, als in einigen der Dörfer.)
Und wenn Sie meinen, das handle sich um ein paar Euros, liegen Sie falsch:
Ein Artikel im “Inselboten” vom 8. Mai 2016 meldet:
“Die Ausgaben, die durch den Tourismus entstehen, betragen auf Föhr jährlich einige Millionen Euro. Die getragen werden von den Gästen (Kurabgabe), von den am Tourismus verdienenden Gewerbetreibenden (Tourismusabgabe) und von den Gemeinden.”
Wie gesagt, die Überlegungen, die Vor- und Nachteile einer Angleichung stehen den Aufregungen der Briten in nichts nach. Und immerhin kann ich berichten, dass inzwischen fünf der elf Föhrer Gemeinden sich für eine angeglichene Abgabe ausgesprochen haben. Die drei Gemeinden Amrums sind sich anscheinend schon einig – obwohl, wer weiß, ob nicht das Beispiel Brexit auch noch zu einem Axit führt …
Borderprotection oder Grenzschutz ist ein Thema, das in Australien die Medien und die Politiker ständig beansprucht. Es fiel mir immer schwer zu verstehen, warum ein Kontinent, so groß und so leer wie Australien (24,4 Millionen Einwohner breiten sich 8,468,000 km2 gemütlich aus), so sehr darauf bedacht ist, seine Grenzen gegen Menschen zu schützen, die auf der Flucht sind.
Aber nun habe ich, hier auf Föhr, gelernt, das Grundgefühl, das Bedürfnis seine Grenzen zu verteidigen, in seiner ganzen Dramatik zu verstehen.
Ich kann die die Entrüstung unserer Politiker nachvollziehen und sehe ein, dass es ab und zu nötig ist, strengstens durchzugreifen.
In diesem Fall kommt die Bedrohung allerdings nicht von seewärts. Es sind nicht leckende, überfüllte Boote, die meinem Frieden drohen, nein, die Invasion erreicht mich auf ländlicher Seite - ausgerechnet in meinem Garten.
Ich liebe Naturgärten – bei mir blühen die Blumen zwischen den Büschen, alles steht bunt durcheinander, der Rasen und die Gartenwege winden sich um die Gartenbeete, ich richte Nischen und lauschige Ecken ein.
Mein Nachbar liebt es ‘ordentlich’. Gerade Beete, säuberlich gehackt und nicht wie bei mir mit Mulch bedeckt. Pflanzen, die aufrecht stehen und nicht aus der Reihe tanzen. Der Rasen zittert vor der täglichen Inspektion des Besitzers und kein Hälmchen wagt es, aus der Reihe zu tanzen.
Mein Grundstück trennt sich von dessen meines Nachbarns durch eine Hecke.
Ich mag meine Hecke – ihre Höhe bietet Sichtschutz. Seitdem ich sie etwas auswachsen lasse, hat sie eine angenehme, puschelige Form angenommen, der ich nach oben zu eine sanfte Abrundung verpasse.
Mein Nachbar zieht stilvoll vor. Auf gewisse Weise imitiert er die barocken Gärten, die man auch in Versailles besichtigen kann. Zur Straße hin steht seine niedrige Hecke im akkuraten Schnitt. Die Ecken erkennt man als solche. Die Länge seiner Hecke wird in bemessenen Abständen von kleinen Kugeln unterbrochen, die sich aus der Geraden erheben.
Ich bewundere die künstlerische Ader, die der Natur hier menschlichen Willen aufzwingt, jedoch es nicht für mich.
Bis vor zwei Tagen habe ich gedacht, mein Garten und der des Nachbarn könnten friedlich nebeneinander co-exsistieren. Dass die Toleranz, die wir im Großen von unseren Nachbarländern erwarten, auch im Kleinen exerziert wird.
Stellen Sie sich meinen Schrecken und Horror vor, als mein Nachbar – ohne Vor- oder Absprache - zur Offensive schreitet. Sogar die Herren Erdogan und Putin lassen ihren Unwillen laut werden, bevor sie zur Tat schreiten!
Eine kurze Abwesenheit meinerseits ausnutzend, greift er zur elektrischen Zaunschere, und verpasst der Hecke, die zwar an sein Grundstück grenzt, aber auf meinem steht, einen Radikalschnitt.
Von seiner Seite begradigt er meine Hecke und – so weit er reichen kann – säbelt er ihr 30cm in Höhe ab! Plötzlich sind zwei Drittel meiner stolzen Hecke gekürzt!
Etwas verwundert versucht meine Hecke seitdem, sich an ihren neuen Look zu gewöhnen. Auf meiner Seite streben ihre Spitzen fast einheitlich in die Höhe.
Zum Nachbarn hin weist sie nun einen ausrasierten Nacken vor – sie sieht aus, wie einer, der sich zum Irokesen bekannt hat!
Und nun kann ich die Empörung nachvollziehen, die ein Grenzeinbruch hervorrufen kann. Weil ich es nun sozusagen an eigenem Leibe erfahren habe.
Mein Leben auf Föhr, in diesem Minikosmos, erlaubt mir Einsichten, die ich in Melbourne, Meilen entfernt von jeglichen Bundes- oder Staatsgrenzen, nie hätte erleben können.
Lethargisch, unwillig mir die Gefahren vor Auge führen zu lassen, habe ich vor mir her gedämmert. Ich persönlich war ja nie betroffen, habe die Vehemenz, mit der einige australische Politiker unsere Grenzen verteidigen, nie verstanden.
Und doch: Noch kämpfe ich mit mir. Wird die Toleranz siegen, die ich immer wieder predige, wenn das Gespräch auf internationale Übergriffe kommt, oder werde ich meinem durchaus menschlichen Instinkt nachgeben, ebenfalls zur Zaunschere greifen, und zum Beispiel Nachbars Kügelchen in seiner Hecke dem übrigen Schnitt angleichen?
Momentan regnet es – es ist als ob das Universum zur Halbzeit abgepfiffen hat, noch steht es auf unentschieden. Außerdem fördert der Regen ja das Wachstum, vielleicht, wenn ich morgen schau, wagt das Grün schon wieder zu sprießen?
Hier auf der Insel Föhr sind uns die Höhen und Tiefen, die sich in der Weltpolitik widerspiegeln, allzu gut bekannt.
Unten: Meine 'Puschelhecke'; Nachbars Barockschnitt; nach dem 'Grenzeinfall': der 'Irokese'
Föhr steht im kurz-vor-der-Hauptsaisonfieber, jetzt auf gut Glück ein Zimmer zu ergattern, kann man mit den Chancen Österreichs, Schwedens oder der Türkei vergleichen, durch ein verspätetes Tor doch noch ins Achtelfinale der EM zu kommen.
‘Wie lange radelt man wohl von der Schweiz hierher, der Insel Föhr, dem beinah nordwestlichsten Punkt Deutschlands?‘ versuche ich zu kalkulieren.
“Hier gibt es doch eine Tourist Information?” fragt der Mann unsicher.
Sie haben es von der Schweiz hierher geschafft und sind dann direkt am Hafen an der Tourist Information vorbeigefahren – um mitten in Wyk zu landen.
Ich weise sie in die richtige Richtung und wünsche ihnen viel Glück. Sie werden es brauchen.
Schweizer sind auf Föhr nicht ungewöhnlich. Schwyzerdütsch mischt sich unter die vielen verschiedenen Dialekte, Sprachen und Tonfälle, die man hier täglich hört. Neben unseren eigenen norddeutschen Klängen, neben plattdeutsch und Fering (Föhrer Friesisch), trifft man auf die unserer Nachbarländer: Dänemark, Frankreich, Polen, der Tschechischen Republik und vielen mehr. Je nachdem, welches Bundesland gerade in die Ferien tritt, wird man wird man auf sächsisch, bayrisch oder Berlinerisch angesprochen. Alle Bundesländer und Regionen sind hier vertreten: Pfälzer, Hessen, Bader usw. Außer den Einheimischen zählen wir hier Zugezogene (vernünftige Menschen, die die Vorzüge Föhrs zu schätzen wissen), Rückkehrer (wie mich selbst) und Einwanderer (oder, wenn Sie wollen: Asylanten) aus der ganzen Welt – Föhr ist eine multikulturelle Nation.
Auch der EU sind wir wohlbekannt – diese hat unsere Promenadenerweiterung gefördert, jawohl.
Aber kommen Sie uns jetzt nicht mit dem Brexit Debakel – wir haben hier unsere eigenen, schwerwiegenden Auseinandersetzungen - mit der FA-U. Nie gehört?
Ich spreche von der “Föhr-Amrumer-Union”, die momentan ernsthaft bedroht ist und uns keine Zeit lässt, auswärtige Politik zu diskutieren, auch wenn es sich da um einen Inselstaat wie dem unsrigen handelt.
Gerade läuft hier nämlich eine wichtige Diskussion ab, die unsere Tageszeitung und Gemüter fast täglich beschäftigt. Verhandlungen, die seit Monaten diskutiert werden und ein diplomatisches Geschick und Feingefühl verlangen, vor dem die Brexit Verhandlungen verblassen. Worum es geht?
Die Kurabgaben, die dem Amt Föhr-Amrum (die beiden Inseln werden gemeinsam verwaltet) zufließen sollen.
Seit etwa 2008 diskutieren die Gemeinden von Föhr und Amrum über eine einheitliche Kurabgabe. Momentan ist es so, dass die Kurgäste und Gewerbebetriebe in der Stadt Wyk eine höhere Kurabgabe bezahlen, als die Gäste und Betriebe, die in den Dörfern walten. (Unterschiedliche Kurtaxen gibt es, da den Gästen z.B. in der Stadt ein größeres Programm geboten wird, als in einigen der Dörfer.)
Und wenn Sie meinen, das handle sich um ein paar Euros, liegen Sie falsch:
Ein Artikel im “Inselboten” vom 8. Mai 2016 meldet:
“Die Ausgaben, die durch den Tourismus entstehen, betragen auf Föhr jährlich einige Millionen Euro. Die getragen werden von den Gästen (Kurabgabe), von den am Tourismus verdienenden Gewerbetreibenden (Tourismusabgabe) und von den Gemeinden.”
Wie gesagt, die Überlegungen, die Vor- und Nachteile einer Angleichung stehen den Aufregungen der Briten in nichts nach. Und immerhin kann ich berichten, dass inzwischen fünf der elf Föhrer Gemeinden sich für eine angeglichene Abgabe ausgesprochen haben. Die drei Gemeinden Amrums sind sich anscheinend schon einig – obwohl, wer weiß, ob nicht das Beispiel Brexit auch noch zu einem Axit führt …
Borderprotection oder Grenzschutz ist ein Thema, das in Australien die Medien und die Politiker ständig beansprucht. Es fiel mir immer schwer zu verstehen, warum ein Kontinent, so groß und so leer wie Australien (24,4 Millionen Einwohner breiten sich 8,468,000 km2 gemütlich aus), so sehr darauf bedacht ist, seine Grenzen gegen Menschen zu schützen, die auf der Flucht sind.
Aber nun habe ich, hier auf Föhr, gelernt, das Grundgefühl, das Bedürfnis seine Grenzen zu verteidigen, in seiner ganzen Dramatik zu verstehen.
Ich kann die die Entrüstung unserer Politiker nachvollziehen und sehe ein, dass es ab und zu nötig ist, strengstens durchzugreifen.
In diesem Fall kommt die Bedrohung allerdings nicht von seewärts. Es sind nicht leckende, überfüllte Boote, die meinem Frieden drohen, nein, die Invasion erreicht mich auf ländlicher Seite - ausgerechnet in meinem Garten.
Ich liebe Naturgärten – bei mir blühen die Blumen zwischen den Büschen, alles steht bunt durcheinander, der Rasen und die Gartenwege winden sich um die Gartenbeete, ich richte Nischen und lauschige Ecken ein.
Mein Nachbar liebt es ‘ordentlich’. Gerade Beete, säuberlich gehackt und nicht wie bei mir mit Mulch bedeckt. Pflanzen, die aufrecht stehen und nicht aus der Reihe tanzen. Der Rasen zittert vor der täglichen Inspektion des Besitzers und kein Hälmchen wagt es, aus der Reihe zu tanzen.
Mein Grundstück trennt sich von dessen meines Nachbarns durch eine Hecke.
Ich mag meine Hecke – ihre Höhe bietet Sichtschutz. Seitdem ich sie etwas auswachsen lasse, hat sie eine angenehme, puschelige Form angenommen, der ich nach oben zu eine sanfte Abrundung verpasse.
Mein Nachbar zieht stilvoll vor. Auf gewisse Weise imitiert er die barocken Gärten, die man auch in Versailles besichtigen kann. Zur Straße hin steht seine niedrige Hecke im akkuraten Schnitt. Die Ecken erkennt man als solche. Die Länge seiner Hecke wird in bemessenen Abständen von kleinen Kugeln unterbrochen, die sich aus der Geraden erheben.
Ich bewundere die künstlerische Ader, die der Natur hier menschlichen Willen aufzwingt, jedoch es nicht für mich.
Bis vor zwei Tagen habe ich gedacht, mein Garten und der des Nachbarn könnten friedlich nebeneinander co-exsistieren. Dass die Toleranz, die wir im Großen von unseren Nachbarländern erwarten, auch im Kleinen exerziert wird.
Stellen Sie sich meinen Schrecken und Horror vor, als mein Nachbar – ohne Vor- oder Absprache - zur Offensive schreitet. Sogar die Herren Erdogan und Putin lassen ihren Unwillen laut werden, bevor sie zur Tat schreiten!
Eine kurze Abwesenheit meinerseits ausnutzend, greift er zur elektrischen Zaunschere, und verpasst der Hecke, die zwar an sein Grundstück grenzt, aber auf meinem steht, einen Radikalschnitt.
Von seiner Seite begradigt er meine Hecke und – so weit er reichen kann – säbelt er ihr 30cm in Höhe ab! Plötzlich sind zwei Drittel meiner stolzen Hecke gekürzt!
Etwas verwundert versucht meine Hecke seitdem, sich an ihren neuen Look zu gewöhnen. Auf meiner Seite streben ihre Spitzen fast einheitlich in die Höhe.
Zum Nachbarn hin weist sie nun einen ausrasierten Nacken vor – sie sieht aus, wie einer, der sich zum Irokesen bekannt hat!
Und nun kann ich die Empörung nachvollziehen, die ein Grenzeinbruch hervorrufen kann. Weil ich es nun sozusagen an eigenem Leibe erfahren habe.
Mein Leben auf Föhr, in diesem Minikosmos, erlaubt mir Einsichten, die ich in Melbourne, Meilen entfernt von jeglichen Bundes- oder Staatsgrenzen, nie hätte erleben können.
Lethargisch, unwillig mir die Gefahren vor Auge führen zu lassen, habe ich vor mir her gedämmert. Ich persönlich war ja nie betroffen, habe die Vehemenz, mit der einige australische Politiker unsere Grenzen verteidigen, nie verstanden.
Und doch: Noch kämpfe ich mit mir. Wird die Toleranz siegen, die ich immer wieder predige, wenn das Gespräch auf internationale Übergriffe kommt, oder werde ich meinem durchaus menschlichen Instinkt nachgeben, ebenfalls zur Zaunschere greifen, und zum Beispiel Nachbars Kügelchen in seiner Hecke dem übrigen Schnitt angleichen?
Momentan regnet es – es ist als ob das Universum zur Halbzeit abgepfiffen hat, noch steht es auf unentschieden. Außerdem fördert der Regen ja das Wachstum, vielleicht, wenn ich morgen schau, wagt das Grün schon wieder zu sprießen?
Hier auf der Insel Föhr sind uns die Höhen und Tiefen, die sich in der Weltpolitik widerspiegeln, allzu gut bekannt.
Unten: Meine 'Puschelhecke'; Nachbars Barockschnitt; nach dem 'Grenzeinfall': der 'Irokese'