Wie ist es eigentlich, nach über vierzig Jahren das erste Mal nach Deutschland zurückzukehren - in ein Haus, das einem gehört, aber das man noch nie gesehen hat?
Die Insel hüllt sich in dicke Nebelschwaden. Auf der Mole stehend, kann man kaum das Ende vom Pier sehen.
So oft hatte ich mir vorgestellt, wie es sein würde, wenn ich meinem Lebensgefährten das erste Mal die Insel Föhr zeigen kann. Auf Dagebüll, auf der Mole stehend, wo die Fähre nach Föhr ablegt, wollte ich ihm den dünnen Landstrich am Horizont zeigen, ihm sagen: “Da liegt Föhr.” Die Halligen zur Linken andeuten, ihm richtungsmäßig die Inseln Sylt und Amrum zeigen.
Ich hatte mich darauf gefreut, seine Spannung, ja, sein Staunen zu sehen, während sich die Fähre langsam aber stetig der Insel nähert. Bei niedrigem Wasser vorbei an Sandbänken auf denen Seehunde suhlen. Wenn man in der Entfernung weißen Strand ausmachen kann und Waldstreifen. Der Leuchtturm sichtbar, Häuser und Gebäude erkennbar werden. Wenn die Fähre wendet und nun am Wyker Strand entlang gleitet, wo die ersten Strandkörbe der Sommerfrischler harren, die Cafés ihre Tische einladend unter die Ulmen gestellt haben, die Strandpromenade zum Flanieren einlädt …
Die meisten Leute können sich gar keine Vorstellung von der Insel machen. Eine Größe von 82,82km² bedeutet für die Meisten: “klein”.
Wenn ich australischen Bekannten etwas von ihr vorschwärme, schauen sie mich verwundert an. “Was macht man da denn?” fragen sie. (Mehr als man in einem Urlaub schaffen kann.) “Gibt es dort einen Supermarkt?” (Ja, drei große, mehrere Kaufmänner.)
Wenn ich von den vielen Ausflugsmöglichkeiten erzähle, sagt einer:
“Na ja, wenn man eine Tagestour nach Stockholm machen kann, dann vielleicht …”
(Warum nach Stockholm, wenn es auf Föhr genügend zu tun gibt?)
Und eine sagt gar: "Was – einmal links um die Insel, einmal rechts um die Insel?” (Hmmpf.)
So oft hatte ich mir vorgestellt, wie es sein würde, wenn ich meinem Lebensgefährten das erste Mal die Insel Föhr zeigen kann. Auf Dagebüll, auf der Mole stehend, wo die Fähre nach Föhr ablegt, wollte ich ihm den dünnen Landstrich am Horizont zeigen, ihm sagen: “Da liegt Föhr.” Die Halligen zur Linken andeuten, ihm richtungsmäßig die Inseln Sylt und Amrum zeigen.
Ich hatte mich darauf gefreut, seine Spannung, ja, sein Staunen zu sehen, während sich die Fähre langsam aber stetig der Insel nähert. Bei niedrigem Wasser vorbei an Sandbänken auf denen Seehunde suhlen. Wenn man in der Entfernung weißen Strand ausmachen kann und Waldstreifen. Der Leuchtturm sichtbar, Häuser und Gebäude erkennbar werden. Wenn die Fähre wendet und nun am Wyker Strand entlang gleitet, wo die ersten Strandkörbe der Sommerfrischler harren, die Cafés ihre Tische einladend unter die Ulmen gestellt haben, die Strandpromenade zum Flanieren einlädt …
Die meisten Leute können sich gar keine Vorstellung von der Insel machen. Eine Größe von 82,82km² bedeutet für die Meisten: “klein”.
Wenn ich australischen Bekannten etwas von ihr vorschwärme, schauen sie mich verwundert an. “Was macht man da denn?” fragen sie. (Mehr als man in einem Urlaub schaffen kann.) “Gibt es dort einen Supermarkt?” (Ja, drei große, mehrere Kaufmänner.)
Wenn ich von den vielen Ausflugsmöglichkeiten erzähle, sagt einer:
“Na ja, wenn man eine Tagestour nach Stockholm machen kann, dann vielleicht …”
(Warum nach Stockholm, wenn es auf Föhr genügend zu tun gibt?)
Und eine sagt gar: "Was – einmal links um die Insel, einmal rechts um die Insel?” (Hmmpf.)
;
Trotz allem was ich André über Föhr erzählt habe, vermute ich, heimlich denkt er ähnlich.
Und nun der Nebel. Dick wie Erbsensuppe schwappt er um uns herum, verhindert jegliche Sicht. Es wird eine Reise ins Ungewisse.
Am frühen Nachmittag sind wir in Hamburg gelandet. Trotz Andrés Befürchtungen, ein ereignisloser Flug.
Das letzte Mal ist er in den siebziger Jahren (also 1970er) geflogen, und wurde urplötzlich von großer Flugangst ergriffen. Unagenehm waren diesmal die Wochen zuvor, beide wussten wir nicht, was zu erwarten. André hatte Angst vor der Panik, an die er sich noch zu gut erinnerte; ich wusste nicht, ob es mir gelingen würde, ihn zu beruhigen. Was, wenn er darauf bestehen würde, auszusteigen? Hält der Pilot das Flugzeug an? Hat der Flugbegleiter eine starke Betäubungspritze in seinem Notfalltäschen?
Aller Sorgen zutrotz geht alles gut.
Ich kann seine Angst verstehen. Ich selber kann eine sich abwärts bewegende Rolltreppe nur nach drei Anläufen betreten und in dem ich mich fest am Geländer festhalte und die Augen starr nach vorne richte.
Brückengänge bereiten Schweißausbrüche, und Aussichtsplattformen kann ich gar nicht erst betreten. Solche Ängste sind nicht von der Vernunft her zu steuern.
Wir haben uns gut vorbereitet: Sitze am Gang, Notfalltropfen in der Handtasche, Entspanungsübungen eingeübt. Hypnose haben wir auch probiert – vielleicht macht das einen Unterschied.
“Gehen Sie im Flughafen immer vor ihm,” rät die Therapeutin mir.
“Das Gewirr und das Menschengewimmel allein können Panik auslösen. Es ist besser, wenn er sich auf Sie konzentrieren muss.”
Wir sitzen fest vertäut auf unseren Plätzen, als er mir zuflüstert: “Steigt das Flugzeug immer noch so steil auf?” Ich kann ihn beruhigen, heutzutage bemerkt man den Aufstieg fast gar nicht.
Sehr hilfreich ist auch der Bildschirm im Vordersitz, auf dem man genau beobachten kann, welche Manöver das Flugzeug gerade unternimmt – man kann sogar ‘mitfliegen’, wenn man auf Cockpit Camera stellt. Toll.
Und keine der Zwischenfälle treten ein, auf die André sich durch jahrelange Recherchen mit Hilfe von Fernsehshows wie “The world’s worst airplane disasters” (Die schlimmsten Flugzeug Unfälle der Welt) vorbereitet hatte. Schon im Vorfeld konnte er sämtliche Unregelmäßigkeiten erspähen, die zu Abstürzen führen würden, wie Leute mit zuviel schwerem Gepäck, zuviele übergewichtige Passagiere, Piloten mit Übermüdungerscheinungen. Im Flugzeug selbst konnte er das Überprüfen der Ausgänge mitchecken (falsch verschlossene Türen können durch den Luftdruck auffliegen und Passagiere heraussaugen!), und er hätte jedes unnormale Motorengeräusch sofort identifizieren, und im Notfall den Piloten auf schlechte Wetterverhältnisse hinweisen können.
Aber der Flug verläuft friedlich. Viel Zeit verbingt man damit, sich über das Fernsehprogramm zu informieren, hin- und her zu klicken und die richtige Lautstärke einzustellen. Regelmäßig steht man auf, um sich im Gang etwas Bewegung zu verschaffen und, wenn es einem gelingt, einen der vorbeieilenden Flugbegleiter am Ärmel zu zupfen, kann man sich sogar ein “Refreshment” – etwas Alkoholisches – bringen lassen. Dann kommen in ausgeklügelten Abständen diese netten kleinen Tabletts, auf denen Essbares unter Silberfolie oder in Staniol verpackt angeboten wird. Schüsselchen mit Salat und Nachspeise; ein Brötchen, das vom Geschmack her keiner anderen Backware gleicht, und ein Päckchen mit Crackern, Streichkäse und pikantem Aufstrich, das man sich am besten für später zur Seite legt. Viel Zeit verbringt man damit, Messer und Gabel auszupacken, und winzige Tütchen mit Salz, Pfeffer oder Zucker für den Tee oder Kaffee aus ihrer Umhüllung zu entfernen, ohne die Balance des ohnehin überfüllten Tablettchens auf dem etwas zu kleinem Klapptisch zu stören.
Von diesen Aktivitäten ermüdet und dem kohlehydrate-überhaltigen Essen gefüllt; in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt wie ein Kind im Kindersitz; eingelullt von jugendfreien Movies (Emirate Airlines: Kein Sex!) und dem sanften Dröhnen der Motoren, schläft man schließlich ein. Spätestens nahc dem zweiten Stopp fällt man in einen zombiehaften Zustand zwischen Wachen und Betäubung. Man ergibt sich der MASCHINE, die eine unbeharrlich vorwärts trägt, auf die man keinen Einfluss hat, gegen die man keinen Einspruch wagt. Man weiß, man wird nun für immer hier sitzen … empfindet als surreal die Welt, die einen empfängt, wird man nach der letzten Landung unerbittlich ausgepukt.
(Wenn Ihr die Touristenklasse verpönt, Businessclass vorzieht, dann tun Ihr mir leid: Nie werdet Ihr dem Flugzeug entsteigen mit dem Gefühl eines Menschen, der gerade die erste Hürde in den Aufnahmen zu einer TV Talentshow überwunden überwunden oder einen Marathon durch die Nullaborwüste in Australien abgefertigt hat.)
Nach einem kurzen Stopp in Singapur, und einem längeren in Dubai, landen wir verplanmäßig in Hamburg. Die letzten zwei Stunden oder so sind wir durch strahlenden Sonnenschein und einem wolkenlosen Himmel geflogen. Doch mit dem Abstieg treffen wir auf eine dicke, gelbliche Wolkenbank. Wir sinken durch eine Wattewolke, und als wir wieder auftauchen, haben wir auch den Sonnenschein hinter uns gelassen. Aber nun nähern wir uns unserem Ziel. Jedesmal überrascht es mich, dass wir nicht die Großstadt unter uns sehen, sondern dass der Anflug über weitläufige Äcker, grüne Weiden und vereinzelte Gehöfte geht. Was für Menschen leben hier wohl, frage ich ich mich. Was machen sie gerade, während wir hier oben in unserer Blechmaschine sitzen?
Wir überqueren die Elbe.
Und dann ist da plötzlich die Landebahn. Sanft setzen wir auf.
Mir ist es passiert, dass mich ein schier überschwellendes Glücksgefühl überkam, wenn ich in Hamburg landete. Dass ich ähnlich dem Papst den Boden hätte küssen wollen. Endlich in Deutschland.
André, der gebürtige Hamburger, nimmt die Ankunft gelassen hin.
Vielleicht, weil seine Familie Hamburg damals im Zug verließ, um in Bremerhaven auf Schiff zu steigen. Hier regen sich keine Erinnerungen.
Meine Schwester und mein Neffe haben uns abgeholt, ihr VW Bus nimmt unser großes Reisegepäck mühelos auf.
Um den Hamburger Flughafen herum wird gebaut. Das ist nichts Neues, in den 44 Jahren, seit ich Deutschland verließ um nach Australien auszuwandern, wird um den Flughafen herum gebaut.
Wir reihen uns ein in den Autostau, der sich langsam, langsam auf die A7 – Richtung Flensburg – schiebt. Von der Stadt selbst sehen wir nichts. Irgendwann wird der Verkehr flüssiger, und der Tacho klettert zügig auf 140 kmh.
Aber auch dieses Tempo, dass in Australien die höchste Geschwindigkeitsgrenze um 30kmh übersteigt, verbannt uns auf die langsame Spur – und führt zu Ratespielen: Wie schnell fährt wohl der, der gerade schattenhaft an uns vorbei geflitzt ist?
Das Erlebnis ‘Autobahn’ löst das Staunen aus, auf das ich gehofft hatte.
Wir fahren durch das flache, grüne Schleswig-Holstein. Bald biegen wir von der Autobahn ab, sehen nun die alten, Reet gedeckten Bauernhöfe aus der Nähe, kommen durch kleine Städtchen und Dörfer, deren Namen auf –stedt (Hattstedt, Bredstedt), enden, oder – um (Bordelum, Husum) oder – büll wie Niebüll.
Die Landschaft leert sich, majestätisch drehen sich die Windräder. Ihre Anzahl erstaunt uns – in Australien wehren sich sowohl Premierminister wie Umweltsminister und Bürgerinitiativen gegen diese eleganten Energieerzeuger. Man zieht es vor, die Erde aufzuwühlen und aufzugraben, um Kohle hervorzuholen.
Wir erreichen die Köge und meine Freude steigert sich – fast zu Hause. Die Köge bedeuten Land, das der Nordsee entrungen wurde – entwässert, befestigt, durch Deiche geschützt bietet es Menschen Lebenmöglichkeiten. Wir Nordfriesen sind stolz darauf, zu oft hat das Meer uns bedroht, uns gute Muttererde und Leben gestohlen, es ist gut, etwas zurückzubekommen.
Trutz Blanke Hans – wir trotzen dir, Meer, - heißt es in einem Gedicht von Detlev Liliencron ja auch.
Hier herrscht Natur pur: In den Feuchtgebieten nisten Hunderte von Vögeln. Dicke Schafe gräsen behäbig, Osterlämmer tummeln sich – Australien, Land der Schafe, hab acht! Wir können mithalten.
Der Stau in Hamburg hat uns aufgehalten. Wir kommen auf Dagebüll an, und sehen gerade noch die 18 Uhr Fähre im Nebel verschwinden. Macht nichts, es gibt noch eine Fähre um 19 Uhr.
Die Überfahrt ist fast surreal. Früher hätte sich der Kapitän auf die
Pricken und das Nebelhorn verlassen müssen, um das Schiff auf Kurs zu halten. Ich erinnere mich an dieses dunkle Tönen des Nebelhorns aus meiner Kindheit. Jetzt hilft die Technik, uns sicher in den Wyker Hafen zu leiten.
Am liebsten verlasse ich die Fähre zu Fuss, lass die heimatlichen Eindrücke auf mich einwirken, die Freude des Wiedererkennens mich überwältigen. Würde auch gern André so in seine neue Heimat einführen, aber die nasskalte Luft lässt uns das warme Auto wählen.
So fahren wir die wenig ansprechende Umgehungsstraße entlang, zur linken Hand liegt Wyk, das Städtchen, zur rechten das Gewerbegebiet. Aber dann biegen wir auch schon in die Badestraße ein, eine fast schnurgerade Straße, die von Nord nach Süd führt. Meine Tante hat mir erzählt, dass hier einst die Seiler ihre Seile drehten. Ich kann mich noch an die Badestraße erinnern, als sie ungeteert und ungepflastert war, ein Sandweg voller Schlaglöcher. Und dann unsere Freude, als sie befestigt wurde: Sie eignete sich ausgezeichnet zum Rollschuhlaufen.
André kann einen kurzen Blick auf den Glockenturm in der Großen Straße werfen, und sieht die Häuser, die ich seit meiner frühen Kindheit kenne – und dann ist es soweit: Dort steht unser Haus.
Seit vier Jahren beschäftigt uns dies Haus, seitdem wir es nach dem Tode meiner Tante übernommen haben. Seit vier Jahren fahre ich ein- oder zweimal im Jahr zurück auf die Insel, um die Renovierungsarbeiten zu begutachten. André kennt das Haus von den Plänen und Zeichnungen, an denen er regelmäßig arbeitet. Als Architekt ist er für die Restauration unserer 114 Jahre alten Villa verantwortlich. Vom Papier und von den zahlreichen Photos, die ich ihm gesandt habe, und mit Hilfe von Skype, ist ihm jede Ecke und jeder Winkel bekannt. Er weiß, wo jedes neu verlegte Rohr, jede Leitung liegt, was sich hinter dem Putz verbirgt und wo Lichtschalter und Steckdosen verborgen sind.
Und doch verschlägt es ihm den Atem, als er es das erste Mal in Wirklichkeit sieht.
Wie die meisten Leute, die in in dieses Haus treten, fühlt er sich willkommen geheißen. Es ist, als ob die Geister all derer, die hier einst gelebt haben, einen freudig begrüßen und aufnehmen.
André ist ein Stadtkind – er ist in und mit Melbourne aufgewachsen. Die Stadt war eine große Ansammlung von Häusern und Geschäften, als er als Achtjähriger 1954 dort eintraf. Auch als ich 1972 dort landete, konnte man die Hochhäuser in der City noch an einer Hand abzählen. Heute drängeln sich die Wolkenkratzer eng aneinander, versuchen einander an Höhe zu übertreffen.
Schon auf dem Weg nach Föhr hat André oft geschmunzelt, hat die Dörfer und Häuser als ‘cute’ bezeichnet – ‘drollig’, ‘putzig’ oder ‘entzückend’.
Unser Haus beeindruckt ihn – “I love it,” sagt er schlicht.
Besser kann es doch gar nicht beginnen – unsere Reise zurück in die Zukunft.
Bilder: Beinah da; auf Dagebüll; Windräder in Nordfriesland; auf der Fahrt; Wyk; die Villa Friesia
Trotz allem was ich André über Föhr erzählt habe, vermute ich, heimlich denkt er ähnlich.
Und nun der Nebel. Dick wie Erbsensuppe schwappt er um uns herum, verhindert jegliche Sicht. Es wird eine Reise ins Ungewisse.
Am frühen Nachmittag sind wir in Hamburg gelandet. Trotz Andrés Befürchtungen, ein ereignisloser Flug.
Das letzte Mal ist er in den siebziger Jahren (also 1970er) geflogen, und wurde urplötzlich von großer Flugangst ergriffen. Unagenehm waren diesmal die Wochen zuvor, beide wussten wir nicht, was zu erwarten. André hatte Angst vor der Panik, an die er sich noch zu gut erinnerte; ich wusste nicht, ob es mir gelingen würde, ihn zu beruhigen. Was, wenn er darauf bestehen würde, auszusteigen? Hält der Pilot das Flugzeug an? Hat der Flugbegleiter eine starke Betäubungspritze in seinem Notfalltäschen?
Aller Sorgen zutrotz geht alles gut.
Ich kann seine Angst verstehen. Ich selber kann eine sich abwärts bewegende Rolltreppe nur nach drei Anläufen betreten und in dem ich mich fest am Geländer festhalte und die Augen starr nach vorne richte.
Brückengänge bereiten Schweißausbrüche, und Aussichtsplattformen kann ich gar nicht erst betreten. Solche Ängste sind nicht von der Vernunft her zu steuern.
Wir haben uns gut vorbereitet: Sitze am Gang, Notfalltropfen in der Handtasche, Entspanungsübungen eingeübt. Hypnose haben wir auch probiert – vielleicht macht das einen Unterschied.
“Gehen Sie im Flughafen immer vor ihm,” rät die Therapeutin mir.
“Das Gewirr und das Menschengewimmel allein können Panik auslösen. Es ist besser, wenn er sich auf Sie konzentrieren muss.”
Wir sitzen fest vertäut auf unseren Plätzen, als er mir zuflüstert: “Steigt das Flugzeug immer noch so steil auf?” Ich kann ihn beruhigen, heutzutage bemerkt man den Aufstieg fast gar nicht.
Sehr hilfreich ist auch der Bildschirm im Vordersitz, auf dem man genau beobachten kann, welche Manöver das Flugzeug gerade unternimmt – man kann sogar ‘mitfliegen’, wenn man auf Cockpit Camera stellt. Toll.
Und keine der Zwischenfälle treten ein, auf die André sich durch jahrelange Recherchen mit Hilfe von Fernsehshows wie “The world’s worst airplane disasters” (Die schlimmsten Flugzeug Unfälle der Welt) vorbereitet hatte. Schon im Vorfeld konnte er sämtliche Unregelmäßigkeiten erspähen, die zu Abstürzen führen würden, wie Leute mit zuviel schwerem Gepäck, zuviele übergewichtige Passagiere, Piloten mit Übermüdungerscheinungen. Im Flugzeug selbst konnte er das Überprüfen der Ausgänge mitchecken (falsch verschlossene Türen können durch den Luftdruck auffliegen und Passagiere heraussaugen!), und er hätte jedes unnormale Motorengeräusch sofort identifizieren, und im Notfall den Piloten auf schlechte Wetterverhältnisse hinweisen können.
Aber der Flug verläuft friedlich. Viel Zeit verbingt man damit, sich über das Fernsehprogramm zu informieren, hin- und her zu klicken und die richtige Lautstärke einzustellen. Regelmäßig steht man auf, um sich im Gang etwas Bewegung zu verschaffen und, wenn es einem gelingt, einen der vorbeieilenden Flugbegleiter am Ärmel zu zupfen, kann man sich sogar ein “Refreshment” – etwas Alkoholisches – bringen lassen. Dann kommen in ausgeklügelten Abständen diese netten kleinen Tabletts, auf denen Essbares unter Silberfolie oder in Staniol verpackt angeboten wird. Schüsselchen mit Salat und Nachspeise; ein Brötchen, das vom Geschmack her keiner anderen Backware gleicht, und ein Päckchen mit Crackern, Streichkäse und pikantem Aufstrich, das man sich am besten für später zur Seite legt. Viel Zeit verbringt man damit, Messer und Gabel auszupacken, und winzige Tütchen mit Salz, Pfeffer oder Zucker für den Tee oder Kaffee aus ihrer Umhüllung zu entfernen, ohne die Balance des ohnehin überfüllten Tablettchens auf dem etwas zu kleinem Klapptisch zu stören.
Von diesen Aktivitäten ermüdet und dem kohlehydrate-überhaltigen Essen gefüllt; in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt wie ein Kind im Kindersitz; eingelullt von jugendfreien Movies (Emirate Airlines: Kein Sex!) und dem sanften Dröhnen der Motoren, schläft man schließlich ein. Spätestens nahc dem zweiten Stopp fällt man in einen zombiehaften Zustand zwischen Wachen und Betäubung. Man ergibt sich der MASCHINE, die eine unbeharrlich vorwärts trägt, auf die man keinen Einfluss hat, gegen die man keinen Einspruch wagt. Man weiß, man wird nun für immer hier sitzen … empfindet als surreal die Welt, die einen empfängt, wird man nach der letzten Landung unerbittlich ausgepukt.
(Wenn Ihr die Touristenklasse verpönt, Businessclass vorzieht, dann tun Ihr mir leid: Nie werdet Ihr dem Flugzeug entsteigen mit dem Gefühl eines Menschen, der gerade die erste Hürde in den Aufnahmen zu einer TV Talentshow überwunden überwunden oder einen Marathon durch die Nullaborwüste in Australien abgefertigt hat.)
Nach einem kurzen Stopp in Singapur, und einem längeren in Dubai, landen wir verplanmäßig in Hamburg. Die letzten zwei Stunden oder so sind wir durch strahlenden Sonnenschein und einem wolkenlosen Himmel geflogen. Doch mit dem Abstieg treffen wir auf eine dicke, gelbliche Wolkenbank. Wir sinken durch eine Wattewolke, und als wir wieder auftauchen, haben wir auch den Sonnenschein hinter uns gelassen. Aber nun nähern wir uns unserem Ziel. Jedesmal überrascht es mich, dass wir nicht die Großstadt unter uns sehen, sondern dass der Anflug über weitläufige Äcker, grüne Weiden und vereinzelte Gehöfte geht. Was für Menschen leben hier wohl, frage ich ich mich. Was machen sie gerade, während wir hier oben in unserer Blechmaschine sitzen?
Wir überqueren die Elbe.
Und dann ist da plötzlich die Landebahn. Sanft setzen wir auf.
Mir ist es passiert, dass mich ein schier überschwellendes Glücksgefühl überkam, wenn ich in Hamburg landete. Dass ich ähnlich dem Papst den Boden hätte küssen wollen. Endlich in Deutschland.
André, der gebürtige Hamburger, nimmt die Ankunft gelassen hin.
Vielleicht, weil seine Familie Hamburg damals im Zug verließ, um in Bremerhaven auf Schiff zu steigen. Hier regen sich keine Erinnerungen.
Meine Schwester und mein Neffe haben uns abgeholt, ihr VW Bus nimmt unser großes Reisegepäck mühelos auf.
Um den Hamburger Flughafen herum wird gebaut. Das ist nichts Neues, in den 44 Jahren, seit ich Deutschland verließ um nach Australien auszuwandern, wird um den Flughafen herum gebaut.
Wir reihen uns ein in den Autostau, der sich langsam, langsam auf die A7 – Richtung Flensburg – schiebt. Von der Stadt selbst sehen wir nichts. Irgendwann wird der Verkehr flüssiger, und der Tacho klettert zügig auf 140 kmh.
Aber auch dieses Tempo, dass in Australien die höchste Geschwindigkeitsgrenze um 30kmh übersteigt, verbannt uns auf die langsame Spur – und führt zu Ratespielen: Wie schnell fährt wohl der, der gerade schattenhaft an uns vorbei geflitzt ist?
Das Erlebnis ‘Autobahn’ löst das Staunen aus, auf das ich gehofft hatte.
Wir fahren durch das flache, grüne Schleswig-Holstein. Bald biegen wir von der Autobahn ab, sehen nun die alten, Reet gedeckten Bauernhöfe aus der Nähe, kommen durch kleine Städtchen und Dörfer, deren Namen auf –stedt (Hattstedt, Bredstedt), enden, oder – um (Bordelum, Husum) oder – büll wie Niebüll.
Die Landschaft leert sich, majestätisch drehen sich die Windräder. Ihre Anzahl erstaunt uns – in Australien wehren sich sowohl Premierminister wie Umweltsminister und Bürgerinitiativen gegen diese eleganten Energieerzeuger. Man zieht es vor, die Erde aufzuwühlen und aufzugraben, um Kohle hervorzuholen.
Wir erreichen die Köge und meine Freude steigert sich – fast zu Hause. Die Köge bedeuten Land, das der Nordsee entrungen wurde – entwässert, befestigt, durch Deiche geschützt bietet es Menschen Lebenmöglichkeiten. Wir Nordfriesen sind stolz darauf, zu oft hat das Meer uns bedroht, uns gute Muttererde und Leben gestohlen, es ist gut, etwas zurückzubekommen.
Trutz Blanke Hans – wir trotzen dir, Meer, - heißt es in einem Gedicht von Detlev Liliencron ja auch.
Hier herrscht Natur pur: In den Feuchtgebieten nisten Hunderte von Vögeln. Dicke Schafe gräsen behäbig, Osterlämmer tummeln sich – Australien, Land der Schafe, hab acht! Wir können mithalten.
Der Stau in Hamburg hat uns aufgehalten. Wir kommen auf Dagebüll an, und sehen gerade noch die 18 Uhr Fähre im Nebel verschwinden. Macht nichts, es gibt noch eine Fähre um 19 Uhr.
Die Überfahrt ist fast surreal. Früher hätte sich der Kapitän auf die
Pricken und das Nebelhorn verlassen müssen, um das Schiff auf Kurs zu halten. Ich erinnere mich an dieses dunkle Tönen des Nebelhorns aus meiner Kindheit. Jetzt hilft die Technik, uns sicher in den Wyker Hafen zu leiten.
Am liebsten verlasse ich die Fähre zu Fuss, lass die heimatlichen Eindrücke auf mich einwirken, die Freude des Wiedererkennens mich überwältigen. Würde auch gern André so in seine neue Heimat einführen, aber die nasskalte Luft lässt uns das warme Auto wählen.
So fahren wir die wenig ansprechende Umgehungsstraße entlang, zur linken Hand liegt Wyk, das Städtchen, zur rechten das Gewerbegebiet. Aber dann biegen wir auch schon in die Badestraße ein, eine fast schnurgerade Straße, die von Nord nach Süd führt. Meine Tante hat mir erzählt, dass hier einst die Seiler ihre Seile drehten. Ich kann mich noch an die Badestraße erinnern, als sie ungeteert und ungepflastert war, ein Sandweg voller Schlaglöcher. Und dann unsere Freude, als sie befestigt wurde: Sie eignete sich ausgezeichnet zum Rollschuhlaufen.
André kann einen kurzen Blick auf den Glockenturm in der Großen Straße werfen, und sieht die Häuser, die ich seit meiner frühen Kindheit kenne – und dann ist es soweit: Dort steht unser Haus.
Seit vier Jahren beschäftigt uns dies Haus, seitdem wir es nach dem Tode meiner Tante übernommen haben. Seit vier Jahren fahre ich ein- oder zweimal im Jahr zurück auf die Insel, um die Renovierungsarbeiten zu begutachten. André kennt das Haus von den Plänen und Zeichnungen, an denen er regelmäßig arbeitet. Als Architekt ist er für die Restauration unserer 114 Jahre alten Villa verantwortlich. Vom Papier und von den zahlreichen Photos, die ich ihm gesandt habe, und mit Hilfe von Skype, ist ihm jede Ecke und jeder Winkel bekannt. Er weiß, wo jedes neu verlegte Rohr, jede Leitung liegt, was sich hinter dem Putz verbirgt und wo Lichtschalter und Steckdosen verborgen sind.
Und doch verschlägt es ihm den Atem, als er es das erste Mal in Wirklichkeit sieht.
Wie die meisten Leute, die in in dieses Haus treten, fühlt er sich willkommen geheißen. Es ist, als ob die Geister all derer, die hier einst gelebt haben, einen freudig begrüßen und aufnehmen.
André ist ein Stadtkind – er ist in und mit Melbourne aufgewachsen. Die Stadt war eine große Ansammlung von Häusern und Geschäften, als er als Achtjähriger 1954 dort eintraf. Auch als ich 1972 dort landete, konnte man die Hochhäuser in der City noch an einer Hand abzählen. Heute drängeln sich die Wolkenkratzer eng aneinander, versuchen einander an Höhe zu übertreffen.
Schon auf dem Weg nach Föhr hat André oft geschmunzelt, hat die Dörfer und Häuser als ‘cute’ bezeichnet – ‘drollig’, ‘putzig’ oder ‘entzückend’.
Unser Haus beeindruckt ihn – “I love it,” sagt er schlicht.
Besser kann es doch gar nicht beginnen – unsere Reise zurück in die Zukunft.
Bilder: Beinah da; auf Dagebüll; Windräder in Nordfriesland; auf der Fahrt; Wyk; die Villa Friesia