Sabine Nielsen
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Unser Haus entfremdet sich

10/2/2017

 
Unser Briefkasten, der heutzutage, im Zeitalter der unablässigen elektronischen Kommunikation, den Status eines Frührentners angenommen hat und tagelang gelangweilt vor sich hin döst, wird neuerdings durch vollkommen unerwartete und nicht angeforderte Posteinwürfe aus seinem  Schlummer erweckt. 
Wenn wir, getrieben von der Macht der Gewohnheit, seine Klappe heben, werden wir plötzlich mit einem Packen von Postsendungen belohnt. 
“Zwei Männer mit einem Lastauto”, “Ein Mann mit einem Wagen” und nationale und internationale Umzugsfirmen in allen Größen bieten ihre Dienste an. Sowie Hausreinigungsfirmen, die sich auf den “Endputz” spezialisieren; ein “Mann für alles”, der kleine und große Reparaturen am Haus sofort erledigen kann, und ein “Maler to go”, der unser Haus “auffrischen” möchte.
​Es gibt sogar Firmen, die anbieten, das Haus “zu waschen”!
Diese überraschende Aufmerksamkeit verdanken wir unserem Haus- und Grundstücksmakler und seinen Bemühungen, unser Haus mit Hilfe der World Wide Web und einem großen Schild an der Straße an den Markt zu bringen. 

Denn ein weiterer Schritt  auf unserem Weg “zurück in die Zukunft”, zurück auf unsere Heimatinsel Föhr, erfordert den Verkauf unseres Hauses hier in Melbourne. ​
Für uns eröffnet sich dadurch eine ganz neue Welt – unser geregelter Tagesablauf sowie der Dauerschlaf unserer Hunde (bisher nur durch die zweimal täglichen Spaziergänge zum Park unterbrochen) sind ein Ding der Vergangenheit. 
Gustav und Otto, unsere beiden Königspudel, machen endlich ihrer Aufgabe als ‘Wachhunde’ volle Ehre, denn es vergeht kaum ein Tag, dass die Türklingel sie nicht mehrere Male auf den Posten ruft. Zuerst sind es die Vorgespräche, die den Makler selbst zu uns führen. Nachdem wir uns geeinigt haben – auf die Werbekampagne, den Auktionstag und die Kosten, werden wir nacheinander von einer Hausvermesserin, die den Grundriss zeichnen soll; dem Copywriter (sie schreibt den Text für die Reklame); der Dame, die das Gutachten für die mögliche Weitervermietung unseres Hauses stellt und schließlich dem Photographen besucht. Die Vermesserin kreucht in alle Ecken und staunt, dass ihre Maße genau dem Plan gleichen, den mein Mann ihr reicht. Nun ja, er ist Architekt und gewöhnt, Grundrisse zu erstellen. 
Die Copywritedame hat sich den Arm verletzt und spricht ihren Text direkt in ihr Handy.
Sie reduziert unser Haus auf einen knappen Werbetext und ist so konzentriert, dass sie uns, die Bewohner, ganz und gar übersieht. Die, die für Vermietungen im Maklerbüro zuständig ist, schätzt einen erschreckend hohen Preis – wer kann sich solche Mieten leisten?! 

Der Photograph ist nett. “Ich brauche etwa zwei Stunden,” erklärt er uns bei der Ankunft.
Die letzten, die Außenphotos, will er erst in der Dämmerung machen, weil das Licht dann anscheinend ideal ist und er innen sämtliche Lampen anschalten kann. Er ist hunde- und tierfreundlich und macht sogar ein Photo von der Katze, die gerade diesen Moment wählt, um genüsslich und anhaltend aus dem Fischteich zu trinken (sehr zur Konsternation der Goldfische, die diese Störung nicht lieben). Der Photograph rückt Blumenvasen und Ornamente, steigt geduldig über die Hunde, die sich vertrauensvoll in seiner Nähe ausbreiten und blitzt was das Zeug hält.
Aber die Resultate sind durchaus erfreulich und sehr professionell.

“Die Standuhr,” fragt eine Spaziergängerin zwei Wochen später, als sie das Schild inspiziert, das nun vor unserem Haus steht, “ist die auch zu verkaufen?”
Ich verneine.
Die Dame lässt sich nicht so schnell abwimmeln. Es sähe doch so aus, als ob wir Antiquitätenhändler wären und sie hätte großes Interesse an einer Art Nouveau Figur, die sie auf einem Schrank entdeckt. “Nein,” sage ich fest. “Das Haus ist zu verkaufen, ja, die Möbel, nein.”
Auch wenn sie auf den Photos deutlich zu erkennen sind. Endlich zieht sie enttäuscht von dannen, aber nicht, ohne mir zu versichern, dass sie mit genau so einer Vitrine wie der unseren aufgewachsen ist.

Unser Leben ist von der bevorstehenden Auktion überschattet. Unsere Pläne und Überlegungen spalten sich in ‘vor der Auktion’ und ‘nach der Auktion’.
Die übrigens um 9.30 Uhr am Morgen stattfinden sollen. Um 9.30 Uhr???
“Ja,” antwortet der Makler forsch. “Was macht man sonst schon um die Uhrzeit?”
Mir fällt allerhand ein, was ich lieber machen würde …
Kaum ist das Schild in unserem Vorgarten installiert (inklusive Solarleuchte), steht auch schon die erste “Open for Inspection” an.
Diesem Tag fiebern wir entgegen. Der Makler hat uns gedrillt und die Vorbereitungen überhäufen sich. Unglaublich, was man alles bedenken muss! 
Platz haben wir ja schon gemacht. Das Haus soll möglichst offen und großzügig erscheinen, so schreiben die Haus- und Wohnzeitschriften den Trend vor. Schwierig in einem kleinen Haus wie dem unseren, in dem jede Ecke und jede Stellfläche gebraucht wird, um unseren Sammlungen Platz zu bieten.
Aber wir schaffen es, indem wir uns von einigen Möbelstücken trennen, die wir sowieso nicht vorhatten, mitzunehmen. Der Makler rät, auch alle kleineren Nippes, die sich leicht einstecken lassen, wegzuschliessen. Und die Schlüssel an Schränken und Schubladen abzuziehen.
Für Letzteres sei es empfohlen, aufzuschreiben, wo man die Schlüssel versteckt hat, sonst ergibt sich hinterher eine frustrierende Suche.
Inzwischen haben wir vier “Open for Inspections” überstanden, und ich habe ganz neue Erkenntnisse gewonnen.
Zum Beispiel hat sich zwischen mir und meinem Staubsauger eine bisher unbekannte Intimität entwickelt, denn verflixt wie es scheint, es ist vor jeder Besichtigung notwendig, meinen motorisierten Freund aus dem Schrank zu zerren und zu saugen. Und nicht nur zu den festgelegten Terminen, donnerstags und samstags, sondern auch zwischendurch haben wir Besichtigungstermine, weil nicht alle an den festen Tagen Zeit haben, sie sich von den Konkurrenten bedrängt fühlen oder unbedingt auch ihrer Patentante oder Urgroßmutter unser Haus zeigen wollen und denen passen der Donnerstag und der Samstag eben nicht.
Also stellen mein Staubsauger und ich uns mutig der Herausforderung, das Haus so blitzblank, staub- und schmutzfrei zu präsentieren, das man meinen könnte, es sei mit so einer Selbstreinigungsanlage ausgerüstet, derer sich auch moderne Backöfen brüsten. 

“Ihr wollt nicht nur euer Haus anbieten, sondern einen Lebensstil,” schärft uns der Makler ein. Unser Stil zielt in die Richtung: “bequem und sorgenfrei”.

Noch nie ist mir das Muster unser Teppiche so eindringlich bewusst geworden, wie jetzt, wo wir ständig drüberfahren. Aber es ist echt erfreulich, wie aufrecht  sich die einzelnen Fasern frisch gelüftet stolz in die Höhe recken. Nicht das kleinste Grashälmchen, von den Hunden oder dem Mann achtlos ist Haus getragen, verbirgt sich unseren scharfen Blicken. Den Spinnen bricht der Schweiß aus, nähert das Motorengeräusch, inzwischen haben wir all ihre Verstecke ausfindig gemacht. Nicht einmal die Kronleuchter sind mehr sicher, in denen sie jahrelang, eher ungestört weil schwer erreichbar, ihre akrobatischen Vernetzungen ausführen konnten. Wir haben den Wollmäusen unterm Bett und hinter dem Kühlschrank den Garaus gemacht und verfolgen gnadenlos die winzigen Kieselsteinchen, die die Katzen in ihren Krallen aus ihrer Streu graben und verteilen.
Es gibt weitere Tipps, die ich gern an andere potentielle Hausverkäufer weitergebe: 
z.B. sollte man sich auch der Speisekammer widmen. Nichts erfreut das Herz wo sehr, wie ordentlich aufgereihte, mit der Beschriftung nach vorn ausgerichtete Dosen, Gläser und Behälter. 
Ja: Interessenten schauen in die Speisekammer!

-    der Geschirrspüler sollte ausgeräumt sein
-    Papierkörbe auf jeden Fall entleeren
-    Tropfende Wasserhähne sind ein Tabu
-    Backöfen sollten nicht an die letzte Weihnachtsgans erinnern
-    Teppichfransen ausbürsten!

Falls sich noch Raucher im Haus befinden, unbedingt jede Spur dieser Unart verbergen!
Musik sollte während den Besichtigungen sanft im Hintergrund spielen, und ein oder zwei Haus- und Wohnzeitschriften, die den eigenen Stil widerspiegeln, sollte man strategisch placieren.
Ist es heiß, sollte man das Haus kühl halten, wenn nötig mit Hilfe der Klimaanlage, deren Effektivität man gleichzeitig in Beweis stellen kann.

Umgekehrt sollte man für angenehme Wärme sorgen, wenn die Temperaturen plötzlich fallen.

In den Stunden vor der Eröffnung spüre ich durchs Haus, entferne, glätte, falte und tue überhaupt alles, was unserem Haus das Gefühl verleiht, hier lebt es sich wie in einem  **** Sterne Hotel,
in dem das Wohl der Bewohner das höchste Ziel ist.

Nach jeder Besichtigung verbringen wir Stunden, in denen wir nach unseren verschiedenen Pillen- und Vitamindöschen, den Zahnpastetuben und Shampooflaschen, Schmuckstücken, unseren persönlichen Terminkalendern, der wöchentlichen Einkaufsliste und unseren Pantoffeln fahnden, die für die Dauer der Öffnung verschwinden mussten. Schade ist es, dass sich in meiner Familie niemand die Mühe gibt, die Handtücher weiterhin ordentlich gefaltet an die Halter zu hängen oder die Rollos an den Fenstern auf den Zoll genau hochzurollen. Irgendwie fallen wir sofort in unsere alten Gepflogenheiten zurück, kaum dass sich die Tür hinterm Makler geschlossen hat. 
Geteilt sind die Meinungen im Haushalt noch, ob man nun doch zu weit geht, das Ende der Klorollen in ein Dreieck zu falten? Ganz darf das familiäre Gefühl immerhin auch nicht fehlen.

Der Garten sollte natürlich einen gepflegten Eindruck machen, auf jeden Fall muss man aber vermeiden, pflanzliche Üppigkeit zu erzielen, indem man organischen Dünger ausbreitet, oder gar mit einem Präparat, das auf Algen basiert, begießt. Es hinterlässt einen unangenehmen Geruch, den man höchstens in einer Fischhandlung oder einer Meeresfrüchteverarbeitungsfabrik akzeptieren würde.

Apropos Duft: Duftkerzen (am liebsten die handgegossenen Soyakerzen) sind ein Muss. Eine frische, geistesschärfende Nuance wie z.B. Orange sollte es sein, nicht unbedingt Lavendel oder Patchouli, das eine hat eine nervenberuhigende und einschläfernde Wirkung, das andere eine, die hier nicht beschrieben werden soll.
Frische Blumen wirken einladend – während frisch aufgebrühter Kaffee vielleicht ein bisschen passé ist? Eine Freundin, die ihr Haus in den 80er Jahren zum Verkauf anbot, schwor auf den Einsatz ihrer Kaffeemaschine, deren anregender Wohlgeruch ihr anscheinend einige tausend Dollar mehr einheimste, als sie erwartet hatte. Ich denke mir jedoch, auf so einen billigen Trick fällt heutzutage kein Interessent mehr rein.

Zur Besichtigung selbst legt unser Makler uns unsere Abwesenheit ans Herz. 
Er weiß, wir könnten unbedacht reagieren, wenn potentielle Käufer sich überlegen, wie sie sich die Raumaufteilung besser vorstellen könnten oder welche Farben sie an den Wänden vorziehen würden. Also verziehen wir uns. Meistens nur in unser Auto, wo wir zumindest ein Auge auf die Vorgänge halten können, und von wo aus Gustav und Otto die Leute anbellen, die unbedingt am Gartentor rütteln oder die Regenrinnen abklopfen wollen.
Wir haben es allerdings aufgegeben, die Katzen an einen diskreten Standort zu verbannen.
So drapiert sich Bella, die capuccino-farbene Burmankatze, theatralisch auf einem achteckigen Tischchen am Fenster, während die strahlend-weiße Minty ihren Posten an der Haustür bezieht, von wo aus sie die Eintretenden böse mustert. “Ich vergesse kein Gesicht!” signalisiert sie.


So nähern wir uns dem Stichtag, dem Tag der Auktion – und unser Haus entfremdet sich. Mit den vielen Besuchern, den Fremden, denen wir unsere Türen öffnen und unser Innenleben preisgeben, mit der übertriebenen Sauber- und Ordentlichkeit, entzieht sich unser Haus uns irgendwie.
Seine Persönlichkeit scheint sich zu ändern. Es kokettiert mit den potentiellen Käufern, spreizt und neigt sich, heischt Gefallen. Als ob es sich, ganz im Stillen, schon auf den Tag vorbereite, an dem wir endgültig ausziehen und neue Besitzer ihm ihren Stempel aufdrücken.

Mit Wehmut beugen wir uns diesem Prozess … Der Abschied beginnt. 
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Das Schreiben erlaubt mir, mich in die Welt meiner Charaktere zu versetzen. Ich probiere andere Leben aus und begebe mich manchmal auf recht abenteuerliche Wege.

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