Das Erste, von dem wir uns trennen, ist mein geliebter Lesesessel.
Bezogen in einem dezent geblümten, gemäß dem Alter des Sessels leicht verblichenem, englischem Leinen, war er mein vertrauter Geselle mancher ausgedehnter Lesestunde. Aus den 50er Jahren stammend, trug er seine behäbigeEckigkeit und seine breiten Armlehnen mit stolzer Fassung. Sein aufgeplustertes Sitzkissen, das einen seufzend empfing, in das man hinein sank, bot stets ein freundliches Willkommen.
Gefunden hatten wir ihn auf dem Flohmarkt – für $50 war er geschenkt. Der Händler lieferte ihn sogar frei Haus. Wahrscheinlich war er froh, dass er ihn nicht noch einmal hin- und herfahren musste.
Jedoch, nun beginnt unsere “Reise zurück in die Zukunft” in allem Ernst– wir kehren nach Deutschland zurück, nachdem wir über 60 Jahre (mein Mann), bzw über 40 Jahre (ich) hier in Melbourne verbracht haben – und wir entrümpeln unser Leben.
Bezogen in einem dezent geblümten, gemäß dem Alter des Sessels leicht verblichenem, englischem Leinen, war er mein vertrauter Geselle mancher ausgedehnter Lesestunde. Aus den 50er Jahren stammend, trug er seine behäbigeEckigkeit und seine breiten Armlehnen mit stolzer Fassung. Sein aufgeplustertes Sitzkissen, das einen seufzend empfing, in das man hinein sank, bot stets ein freundliches Willkommen.
Gefunden hatten wir ihn auf dem Flohmarkt – für $50 war er geschenkt. Der Händler lieferte ihn sogar frei Haus. Wahrscheinlich war er froh, dass er ihn nicht noch einmal hin- und herfahren musste.
Jedoch, nun beginnt unsere “Reise zurück in die Zukunft” in allem Ernst– wir kehren nach Deutschland zurück, nachdem wir über 60 Jahre (mein Mann), bzw über 40 Jahre (ich) hier in Melbourne verbracht haben – und wir entrümpeln unser Leben.
Jedoch, nun beginnt unsere “Reise zurück in die Zukunft” in allem Ernst– wir kehren nach Deutschland zurück, nachdem wir über 60 Jahre (mein Mann), bzw über 40 Jahre (ich) hier in Melbourne verbracht haben – und wir entrümpeln unser Leben.
Vielleicht sollte ich mich genauer ausdrücken, sagen: Unseren Haushalt.
Aber die Gegenstände von denen wir uns trennen, waren unsere Begleiter, unsere Freunde – Beweise, das unser tägliches Leben trotz politischer Auf und Abs, trotz lebenswichtiger Entscheidungen, trotz Umzügen und Ameisenplagen in einer unumstößlichen Routine ruhte. All die Dinge, die wir von Wohnung zu Wohnung, Haus zu Haus schleppten, boten uns ein gewisses Polster: Zu einer Zeit, in der jemand wie Donald Trump an den Fundamenten der Weltordnung rütteln kann, ruhten wir im Wissen, das wir alles, was wir jemals brauchen könnten, besaßen. Irgendwo in einem Schrank, in einem längst vergessenen Koffer unterm Bett, in einem Regal hinter der Werkbank in der Garage, könnten wir zur Not das richtige Werkzeug, das Ersatzkartoffelmesser, die Wolldecken, die irgendwann einem Soldaten gute Leistung erwiesen hatten (diese grauen, kratzigen, ganz und gar nicht kuscheligen, aber bestimmt wärmenden Armeedecken, die Andrés Mutter uns vererbte) finden könnten.
Sollte der Strom mal tagelang ausfallen, wie kürzlich in Adelaide, hätten wir uns z.B. unserer Sammlung von Reiseführern widmen können. Gut, vielleicht hat sich Prag in den letzten zwanzig Jahren etwas geändert; vielleicht fahren die Busse in Wien inzwischen auf anderen Routen; vielleicht würden wir den heißen Tipp für das Restaurant mit dem herrlichen Blick über Sydney Cove nicht wiederfinden – damals war mein Sohn gerade mal acht Jahre alt, inzwischen nähert er sich den Vierzigern – aber was soll’s? Stunden hätten wir mit den Erinnerungen verbringen können. Und mit den geerbten, unmotorisierten Werkzeugen seines Stiefvaters hätte mein Mann endlich all die Reparaturen am Haus machen können, die schon so lange aufgeschoben werden.
Aber wie gesagt: “Entrümpeln!” ist heutzutage der Kampfschrei, der durch unser Haus hallt. ‘Hallt’ im wahrsten Sinne des Wortes, denn etwa einen Monat nachdem mein vertrauter Lesesessel sich eines Abends am Straßenrand wiederfand, um der Sperrmüllsammlung am nächsten Tag zu harren - seine Sprungfedern hatten ganz plötzlich, von einem Tag zum anderen, den Dienst versagt – rafften wir unseren ganzen Mut zusammen, und begannen ernsthaft auszusortieren, weg zu geben und zu werfen, was wir nicht mitnehmen wollten in unser neues Leben.
Einerseits angeregt von unserem Grundstücksmakler, dem wir den Verkauf unseres Hauses anvertrauten. Sein gequälter Blick, als wir ihn stolz durch unser gut bestücktes Haus führten, sprach Bände. “Es wäre gut, wenn potentielle Klienten nicht überall anstoßen würden,” drückte er sich vorsichtig aus.
Und dann ist da der 40 Fuss Container, der unseren Haushalt nach Deutschland übersetzen soll. Mein Mann, gewissenhafter Architekt, hat ihn schon mal ‘gefüllt’ – nicht wirklich, virtuell sozusagen, auf dem Papier. Schon zu unserem ersten gemeinsamen Umzug hatte er unsere sämtlichen Möbelstücke vermessen und gezeichnet und dann in den Grundriss unseres Hauses gesetzt.
Diese kleine Umständlichkeit würde ich jedem empfehlen! Nicht nur kann man so im Voraus bestimmen, ob das Haus oder das Apartment, das man sich ausgeguckt hat, auch alle Besitztümer fast, es erleichtert den Umzug tausendfach, da man vorweg genau planen kann, wo Omas Singer Nähmaschinentisch hin soll, oder ob die Glasvitrine an die Wohnzimmerwand zwischen den Fernseher und den Lehnstuhl passt.
André hat einen Plan des Containers gezeichnet und Möbel und Kisten ‘hinein gestellt’, und es passt einfach nicht alles hinein! Außerdem ist unser Haus in Deutschland kleiner als unser Haus hier – oder hat einfach weniger Stellplatz, was an den schrägen Wänden im Obergeschoss liegen kann. Kurz: Wir müssen entrümpeln oder ‘decluttern’, wie es auf Englisch so schön heißt..
Mein Mann ist der Sammler in unserer Familie, und während ihn der Verlust meines Sessels nicht sehr berührt hat – “Es ist dein Sessel und ihn neu federn und beziehen zu lassen, ist viel zu teuer”, (das stimmt, denn neben den lapidierten Sprungfedern hat der Sessel auch unter täglichen, oder besser gesagt: nächtlichen – Angriffen unserer Katze gelitten, die englisches Leinen fürs Krallen wetzen einfach unwiderstehlich fand) fällt ihm das Loslassen seiner Sachen sehr viel schwerer. Unsere Gespräche drehen sich heutzutage um Überlegungen wie: “Sollen wir unsere beiden Schreibtische mitnehmen? Meinen oder deinen Drucker?” Und: “Möchtest du wirklich alle Toaster behalten?” Wir besitzen mehrere – von einem Exemplar, das den allerersten Toastern, die jemals hergestellt wurden, gleicht, bis zu Modellen, die man fast schon modern nennen könnte.
Wir entscheiden uns, den mitzunehmen, der momentan in Gebrauch ist plus dem wirklich alten, der auf jeder Seite eine Klappe hat, die man anhand eines kleinen Bakelit-Griffes öffnete, um eine Scheibe Brot hineinzulegen. Man musste aufpassen, die Klappen öffnen und das Brot umdrehen, um die Rückseite zu rösten. Meine Tante hatte genauso einen, und als Kinder waren wir fasziniert davon. Toasten war damals ein Event!
Noch nicht entschlossen ist das Schicksal der Briefmarkensammlung, der Modelleisenbahn, der Souvenirlöffelsammlung (nur europäische Muster, aber auch dort gibt es ein schier unerschöpfliches Angebot stiller Zeugen, dass jemand einst Oberammergau, das Kleine Walsertal oder einen Ort namens Gravenhage erreichte); der Sammlung der kristallenen Pfeffer- und Salzstreuer oder die der Streichholzschachteln, die von Besuchen in nationalen wie internationalen Restaurants zeugt, um nur einige der Sammlungen zu erwähnen.
Ich rate dazu, die Briefmarken mitzunehmen. Viele warten noch darauf, in ihre Alben eingeklebt zu warden, und Deutschland ist immerhin für seine langen, dunklen Wintertage bekannt. Ideal für Briefmarkensammler.
Außerdem hat man als Briefmarkensammler die Gelegenheit, Gleichgesinnte zu treffen, einer Bruderschaft dieser kleinen, gummierten Papierfetzchen-Bewahrern beizutreten.
Und schon als Kind habe ich mir eine Modelleisenbahn gewünscht. Der Bruder meiner besten Freundin besaß eine, die er in seinem Zimmer aufgebaut hatte. Das Zimmer durften wir unter Drohungen, die die Todesstrafe einschlossen, auf keinen Fall ohne ihn betreten. (Der Vater meiner besten Freundin war der Amtsrichter in Wyk, angedrohte Todesstrafen waren also durchaus ernst zu nehmen.) Sehr selten, und nur wenn wir versprachen nichts anzurühren, durften wir zuschauen, wie er Loks, Wagons und Güterwagen über die Schienen gleiten ließ; sie sich unter Tuten Miniaturbahnhöfen näherten, in dunkle Tunnel tauchten oder sich Gebirge hinauf quälten. Winzige Schranken hoben und senkten sich und Ampeln leuchteten rot und grün.
Mein Mann stöhnt, es gäbe keinen Platz in unserem Haus auf Föhr, die Eisenbahn aufzubauen, und die Leidenschaft ruhe eher in dem Ersteigern einer neuen Lok als in dem Fahren derselben, aber ich stelle mir vor, dass wir die Gleise ganz einfach im Haus verlegen. Wie nett wäre es, wenn der alltägliche Alltag von der Ankunft des Personenzuges, der kurz zuvor den Bahnhof “Esszimmer” verlassen hat, unterbrochen würde? Oder ein Güterzug mich nun auf dem Weg in den Wintergarten geschäftig schnaubend überholt? Oder wenn eine geschlossene Schranke mich zwingt einzuhalten, weil der Schnellzug “Wohnzimmer-Küche” vorbeirauscht?
Aber noch haben wir Zeit, die wirklich schwerwiegenden Entscheidungen aufzuschieben. Inzwischen beginnen wir, wohl organisierte Menschen, die wir sind, mit dem Dachboden.
“Was liegt eigentlich da oben?” frage ich naiv. Ich selber habe den Dachboden seit Einzug nie betreten, denn das geht nur über eine steile Leiter und eine enge Dachluke. “Kisten …”, meint André vage.
Kisten, ja – mindestens ihrer dreißig. Sie enthalten Pläne von Projekten, an denen André in den letzten 15 Jahren gearbeitet hat. Sicher, er hat sie alle auf Computer, und doch waren sie der handfeste Beweis seines Schaffens. Eine Kiste nach der anderen rutscht begleitet von einer Staubwolke die Leiter herunter.
Ein Glück ist nicht weit von uns entfernt ein Recycling Center, wo man Papier entsorgen kann. Mir tut es leid, aber Andrés Entschluss, sich endgültig zur Ruhe zu setzen, und sich von seinen Bauplänen zu trennen, bestätigt seine Entscheidung und den Ruhestand.
Diesen Kisten folgen unsere gesammelten Werke, die wir gewissenhaft Jahr für Jahr für die Steuerbehörde zusammengestellt und aufbewahrt haben. Sicher, man braucht sie nur zehn Jahre aufzubewahren, aber wer verliert nicht im Laufe eines langen Arbeitsleben den Überblick und vergisst ganz einfach, was sich sowieso im Laufe der Zeit in die hinterste Reihe geschoben hat?Reizvoll wäre es ja, diese alten Belege und Quittungen mal durchzugehen. Zu sehen, welche Restaurants man damals mit Kunden frequentierte, zu entdecken, wie wenig man damals für Strom, für Benzin oder eine neue Schreibmaschine auslegen musste – aber wir rufen uns streng zur Ordnung. Entrümpeln heißt es, nicht sich in Erinnerungen ergehen.
Und eines Tages ist der Dachboden wirklich leer – ein unwahrscheinliches, wirklich nachahmenswertes Ergebnis. Mehrere Tage lang schwelgen wir in dem Bewusstsein eines ersten Erfolges. Wir können es kaum abwarten, unseren Grundstücksmakler in diese minimalistische Weite zu führen, die nur hier und da von einem Staubflöckchen durchsegelt wird.
Von so viel hat André sich nun schon getrennt, dass er sich erstmal erholen muss. Es sind noch drei Monate bis zu unserer Abreise, allerdings weniger bis zur Auktion unseres Hauses. Und ich bin nun vom Entrümpelungsfieber ergriffen! Ich entdecke eine ganze neue Seite an mir: Eine perverse, ja fast sadistische Freude am Wegschmeißen!!
Ich fange in meinem Arbeitszimmer an – alte Lehrpläne, Konjugations- und Tempusarbeitsblätter; Tonkassetten; längst ausgediente Lehrbücher landen in der blauen Tonne fürs Recycling. Die erwähnten Reiseführer wandern zum Op-Shop, sicher gibt es noch Leute, die sich nicht daran stören, dass ein “Lonely Planet: Norwegen” Alterserscheinungen aufweist.
Allerdings, den Dänischkurs (Lehr- und Arbeitsbuch plus CD) behalte ich.
Den wollte ich immer nochmal durchziehen, mir fehlte nur bis jetzt die Zeit, und nun ziehen wir fast direkt an die dänische Grenze.
Auf Föhr lebt immer noch eine dänische Minorität, es gibt eine dänische Schule, die zwei meiner Großnichten besuchen, eine dänische Kirche und dem Denkmal an den Dänischen König (irgendein Christian) wird immer noch regelmäßig von Banausen, die nichts Besseres zu tun haben, die Krone vom Kopf katapuliert. Zuletzt mussten die Föhrer sich im Jahre 1920 bei einer Volksabstimmung entscheiden, ob sie zu Dänemark oder Deutschland gehören wollten.
Obwohl Dänemark auf Föhr gewann, war der Druck Preußens zu groß – wir wurden zu Deutschen. Aber gewiss werden wir in der Zukunft über die Grenze fahren und Tondern, Ribe mit der alten Kathedrale oder die Insel Fünen zu besuchen, eventuell zum Tee bei Princess Mary, der gebürtigen Tasmanierin, in Kopenhagen einkehren. Sicher würde sie sich freuen, dass nun Landmänner ganz in ihrer Nähe wohnen.
Die Schränke und Schubladen meines Arbeitszimmer gähnen vor Leere und ich wende mich der Küche zu. Erstaunlich, was ‘Mann’ in einer normal großen Küche alles unterbringen kann! Ganz hinten in der Speisekammer steht zum Beispiel eine ganze Einweckanlage – ein beängstigend großer Topf mit Zubehör, das mir den Schweiß ausbrechen lässt. “Das stammt aus meiner Saure-Gurken-Zeit!” ruft André freudig. Damals, als man gute Gewürzgurken in Gläsern hier nur mit Schwierigkeiten finden konnte, gab es manchmal für eine kurze Zeit frische Gewürzgurken bei einigen der Gemüsehändler auf dem Wochenmarkt zu kaufen, und André lernte, seine eigenen Gewürzgurken einzulegen! Aha, aus der Zeit stammen also die Gewürzgläschen mit Senfkörnern und Einlegegewürzen!
Wir haben inzwischen einen sehr netten Mann gefunden. Sam hat einen Stand auf dem Camberwell Flohmarkt und ist bereit, alles was sich nicht zum Wegwerfen eignet, abzuholen, um es an seinem Stand anzubieten.
Die ‘Fowler-Einweck’ Menagerie kommt auf den Haufen, der für Sam designiert ist. Dazu sammeln sich Kochbücher, die uns über die Jahre zu gastronomischen Höhen und Tiefen verleitet haben. Von Margaret Fulton (Best Basic Australian Cookery) bis zu “Pooh’s Kitchen” sind dort sämtliche Nationalitäten und Geschmäcker vertreten. Nur, heutzutage googeln wir meistens, wenn wir Inspiration suchen, oder uns der Sinn nach einem authentischen Vindaloo steht. Nur mein Dr Oetker Schulkochbuch gebe ich auf keinen Fall weg! Das brauche ich allein für das klassische Käsekuchen Rezept, das einfach immer gelingt (und endlich gibt es bei Aldi in Melbourne wieder einigermaßen erstehlichen Quark - $2.50 für 200 Gramm). Auch die Küchenmaschine von Andrés Mutter gesellt sich zu Sams Haufen, zwar habe ich noch keinen Thermomix, aber wer weiß, in der neuen Küche …
Die Küche auszurüntschen ist fast eine Zeitreise! Da findet sich eine alte Zitronenpresse, in der man ein Viertelchen einer dünnen Zitronenscheibe ausdrücken kann, früher lag sowas neben dem Schollenfilet, das man im Restaurant serviert bekam; zwei Dosenöffner der Art mit schwarzem Griff, deren Eckzahnartige Spitze man mit einem heftigen Schlag des Handballens in die Dose schlug und dann mit gleichmäßigen Vor- und Rückbewegungen um den Deckelrand führte. Ich behalte sie, sie sind schier unverwüstlich und viel einfacher zu benutzen, als die neuen Modelle aus dem 2 Dollar Shop.
Bereitet noch jemand seine eigenen Würste oder sein eigenes Hackfleisch zu? Wir haben drei Fleischwölfe bester Vorkriegsqualität auf den Flohmarkt gesandt, einen behalten wir als Deko.
Nur ganz leicht angeschlagene Kaffeebecher (leider alles Einzelgänger, ihre Kameraden haben längst das Zeitliche gesegnet); Besteckteile ditto, sowie Überlebende gewisser 6er Sets: Biergläser, Weingläser und Senfgläser, die sich unbedingt als Wassergläser eignen. Ein halbes Dutzend Eiswürfelbehälter (wahrscheinlich trafen mindestens zwei mit jedem neuen Kühlschrank ein), ungewöhnlich geformte Glasflaschen, die unermüdliche Taucher aus dem Yarra Fluss fischen, und Auflaufformen, derer ich mindestens vier weggeben kann.
Und Siebe aller Art. André verabscheut Plastikgeräte in der Küche – wenn immer er ein Aluminium- oder Stahlsieb auf dem Flohmarkt oder im Op-Shop entdeckt, greift er zu. Bei uns fanden sich genug Siebe, um eine mehrköpfige archäologische Expedition in die Sahara auszurüsten. Da könnten sie nach Herzenslust den Sand sieben, um Schätze aller Art zu entdecken.
André ist seine Sammlung von alten Küchengeräten durchgegangen, die Sorte, die noch einen Holzgriff hat. Lange hat er die verschiedenen Teile erjagt, sie zu Hause mit Stahlwolle gereinigt, die oft grüne Farbe von den Holzgriffen gelöst, und sie endlich mit einem Häkchen am Griff versehen. In seiner letzten Wohnung hingen sie aufgereiht unter einer hohen Fensterbank. In unserer Küche auf Föhr haben wir nichts Ähnliches, aber diese Geräte sind Zeitzeugen. Meine Oma, die einst in unserer Föhrer Küche wirtschaftete, hätte wahrscheinlich ähnliche Geräte benutzt. Die schönsten und ungewöhnlichsten müssen mit: wie der Handmixer mit Kurbel, der Kirschsteinentferner, den man auch für Olivenkerne benutzen kann, der Pfannenheber und der Schneebesen …
Und wir haben unsere Deko-Dosen-Sammlung ausgelichtet – da ist alles von Arnotts Biskuits bis Tetley Teabags dabei. Die richtig alten, handbemalten – wie “Duckworth’s Baking Powder”, “Colman’s Mustard” und “Badford’s Roasted Nuts” - behalten wir.
Inzwischen war Sam schon viermal bei uns. Er hat Kisten mit Büchern, Säcke mit Sofakissen, Küchengeräte, einen opulenten Lampenschirm und einen Staubsauger, den man bei Überschwemmungen einsetzen kann (Wassersauger?) abgeholt. Auf Föhr leben wir weit genug vom Strand entfernt, es müsste schon eine enorme Sturmflut sein, die das Nordseewasser in unseren Keller entleert. Außerdem erwägt André, der Freiwilligen Feuerwehr beizutreten und die ist für so was – Keller auspumpen - zuständig. Ein ganzes Essservice, das uns auf dem Flohmarkt ins Auge fiel, das wir aber letztendlich doch nie benutzten und sämtliche Kisten, die Andrés Mutter gehörten und ihren Hausstand und ihre Souvenirs eines achtzigjährigen Lebens enthielten (André hatte dafür in der Garage extra eine Art Dachboden eingebaut). Sam hat auch gleich den Handrasenmäher mitgenommen – auch wir mähen inzwischen motorisiert.
Zu entrümpeln ist anstrengend. Inzwischen sind auch das Schlaf-, Wohn- und Esszimmer unserem neuen Zwang zu Opfer gefallen. Es kommt aber auch vor, dass wir uns gegenseitig erwischen, wie einer von uns, sozusagen bei Nacht und Nebel, den aussortierten Haufen durchwühlt, um das entsorgte Schuhhorn (Wo, bitte, bekommt man eins, wenn man es braucht?) oder die geliebte Handtasche, die vor mindestens drei Modetrends modern war, wieder hervorzuziehen.
Andrés virtueller Container ist um mehrere Dutzend Kisten erleichtert, er sieht nicht mehr aus wie ein überfressenes Weihnachtsschweinchen. Als nächstes müssen wir ernsthaft diskutieren, won welchen Möbelstücken wir uns trennen können.
Eines sind wir uns aber sicher: Ganz bestimmt werden wir auf Föhr unseren Haushalt um nötige und unnötige Gegenstände erweitern. Da gibt es den Sperrgutbasar und mindestens zwei gute Antiquitätengeschäfte, die darauf warten, erforscht zu werden. Wir haben einen tollen Secondhand- und Antiquitätenshop auf dem Festland gleich hinter Bredstedt erspäht und von einem optimalen Flohmarkt in Hamburg gehört; außerdem gibt es die ebay Kleinanzeigen, auf denen man wirklich gute Funde macht und Dutzende von Flohmärkten über Schleswig-Holstein verstreut.
Ganz bestimmt werden wir uns nie wieder von irgendetwas trennen!
Das nächste Entrümpeln sei unseren Erben überlassen.
Aber die Gegenstände von denen wir uns trennen, waren unsere Begleiter, unsere Freunde – Beweise, das unser tägliches Leben trotz politischer Auf und Abs, trotz lebenswichtiger Entscheidungen, trotz Umzügen und Ameisenplagen in einer unumstößlichen Routine ruhte. All die Dinge, die wir von Wohnung zu Wohnung, Haus zu Haus schleppten, boten uns ein gewisses Polster: Zu einer Zeit, in der jemand wie Donald Trump an den Fundamenten der Weltordnung rütteln kann, ruhten wir im Wissen, das wir alles, was wir jemals brauchen könnten, besaßen. Irgendwo in einem Schrank, in einem längst vergessenen Koffer unterm Bett, in einem Regal hinter der Werkbank in der Garage, könnten wir zur Not das richtige Werkzeug, das Ersatzkartoffelmesser, die Wolldecken, die irgendwann einem Soldaten gute Leistung erwiesen hatten (diese grauen, kratzigen, ganz und gar nicht kuscheligen, aber bestimmt wärmenden Armeedecken, die Andrés Mutter uns vererbte) finden könnten.
Sollte der Strom mal tagelang ausfallen, wie kürzlich in Adelaide, hätten wir uns z.B. unserer Sammlung von Reiseführern widmen können. Gut, vielleicht hat sich Prag in den letzten zwanzig Jahren etwas geändert; vielleicht fahren die Busse in Wien inzwischen auf anderen Routen; vielleicht würden wir den heißen Tipp für das Restaurant mit dem herrlichen Blick über Sydney Cove nicht wiederfinden – damals war mein Sohn gerade mal acht Jahre alt, inzwischen nähert er sich den Vierzigern – aber was soll’s? Stunden hätten wir mit den Erinnerungen verbringen können. Und mit den geerbten, unmotorisierten Werkzeugen seines Stiefvaters hätte mein Mann endlich all die Reparaturen am Haus machen können, die schon so lange aufgeschoben werden.
Aber wie gesagt: “Entrümpeln!” ist heutzutage der Kampfschrei, der durch unser Haus hallt. ‘Hallt’ im wahrsten Sinne des Wortes, denn etwa einen Monat nachdem mein vertrauter Lesesessel sich eines Abends am Straßenrand wiederfand, um der Sperrmüllsammlung am nächsten Tag zu harren - seine Sprungfedern hatten ganz plötzlich, von einem Tag zum anderen, den Dienst versagt – rafften wir unseren ganzen Mut zusammen, und begannen ernsthaft auszusortieren, weg zu geben und zu werfen, was wir nicht mitnehmen wollten in unser neues Leben.
Einerseits angeregt von unserem Grundstücksmakler, dem wir den Verkauf unseres Hauses anvertrauten. Sein gequälter Blick, als wir ihn stolz durch unser gut bestücktes Haus führten, sprach Bände. “Es wäre gut, wenn potentielle Klienten nicht überall anstoßen würden,” drückte er sich vorsichtig aus.
Und dann ist da der 40 Fuss Container, der unseren Haushalt nach Deutschland übersetzen soll. Mein Mann, gewissenhafter Architekt, hat ihn schon mal ‘gefüllt’ – nicht wirklich, virtuell sozusagen, auf dem Papier. Schon zu unserem ersten gemeinsamen Umzug hatte er unsere sämtlichen Möbelstücke vermessen und gezeichnet und dann in den Grundriss unseres Hauses gesetzt.
Diese kleine Umständlichkeit würde ich jedem empfehlen! Nicht nur kann man so im Voraus bestimmen, ob das Haus oder das Apartment, das man sich ausgeguckt hat, auch alle Besitztümer fast, es erleichtert den Umzug tausendfach, da man vorweg genau planen kann, wo Omas Singer Nähmaschinentisch hin soll, oder ob die Glasvitrine an die Wohnzimmerwand zwischen den Fernseher und den Lehnstuhl passt.
André hat einen Plan des Containers gezeichnet und Möbel und Kisten ‘hinein gestellt’, und es passt einfach nicht alles hinein! Außerdem ist unser Haus in Deutschland kleiner als unser Haus hier – oder hat einfach weniger Stellplatz, was an den schrägen Wänden im Obergeschoss liegen kann. Kurz: Wir müssen entrümpeln oder ‘decluttern’, wie es auf Englisch so schön heißt..
Mein Mann ist der Sammler in unserer Familie, und während ihn der Verlust meines Sessels nicht sehr berührt hat – “Es ist dein Sessel und ihn neu federn und beziehen zu lassen, ist viel zu teuer”, (das stimmt, denn neben den lapidierten Sprungfedern hat der Sessel auch unter täglichen, oder besser gesagt: nächtlichen – Angriffen unserer Katze gelitten, die englisches Leinen fürs Krallen wetzen einfach unwiderstehlich fand) fällt ihm das Loslassen seiner Sachen sehr viel schwerer. Unsere Gespräche drehen sich heutzutage um Überlegungen wie: “Sollen wir unsere beiden Schreibtische mitnehmen? Meinen oder deinen Drucker?” Und: “Möchtest du wirklich alle Toaster behalten?” Wir besitzen mehrere – von einem Exemplar, das den allerersten Toastern, die jemals hergestellt wurden, gleicht, bis zu Modellen, die man fast schon modern nennen könnte.
Wir entscheiden uns, den mitzunehmen, der momentan in Gebrauch ist plus dem wirklich alten, der auf jeder Seite eine Klappe hat, die man anhand eines kleinen Bakelit-Griffes öffnete, um eine Scheibe Brot hineinzulegen. Man musste aufpassen, die Klappen öffnen und das Brot umdrehen, um die Rückseite zu rösten. Meine Tante hatte genauso einen, und als Kinder waren wir fasziniert davon. Toasten war damals ein Event!
Noch nicht entschlossen ist das Schicksal der Briefmarkensammlung, der Modelleisenbahn, der Souvenirlöffelsammlung (nur europäische Muster, aber auch dort gibt es ein schier unerschöpfliches Angebot stiller Zeugen, dass jemand einst Oberammergau, das Kleine Walsertal oder einen Ort namens Gravenhage erreichte); der Sammlung der kristallenen Pfeffer- und Salzstreuer oder die der Streichholzschachteln, die von Besuchen in nationalen wie internationalen Restaurants zeugt, um nur einige der Sammlungen zu erwähnen.
Ich rate dazu, die Briefmarken mitzunehmen. Viele warten noch darauf, in ihre Alben eingeklebt zu warden, und Deutschland ist immerhin für seine langen, dunklen Wintertage bekannt. Ideal für Briefmarkensammler.
Außerdem hat man als Briefmarkensammler die Gelegenheit, Gleichgesinnte zu treffen, einer Bruderschaft dieser kleinen, gummierten Papierfetzchen-Bewahrern beizutreten.
Und schon als Kind habe ich mir eine Modelleisenbahn gewünscht. Der Bruder meiner besten Freundin besaß eine, die er in seinem Zimmer aufgebaut hatte. Das Zimmer durften wir unter Drohungen, die die Todesstrafe einschlossen, auf keinen Fall ohne ihn betreten. (Der Vater meiner besten Freundin war der Amtsrichter in Wyk, angedrohte Todesstrafen waren also durchaus ernst zu nehmen.) Sehr selten, und nur wenn wir versprachen nichts anzurühren, durften wir zuschauen, wie er Loks, Wagons und Güterwagen über die Schienen gleiten ließ; sie sich unter Tuten Miniaturbahnhöfen näherten, in dunkle Tunnel tauchten oder sich Gebirge hinauf quälten. Winzige Schranken hoben und senkten sich und Ampeln leuchteten rot und grün.
Mein Mann stöhnt, es gäbe keinen Platz in unserem Haus auf Föhr, die Eisenbahn aufzubauen, und die Leidenschaft ruhe eher in dem Ersteigern einer neuen Lok als in dem Fahren derselben, aber ich stelle mir vor, dass wir die Gleise ganz einfach im Haus verlegen. Wie nett wäre es, wenn der alltägliche Alltag von der Ankunft des Personenzuges, der kurz zuvor den Bahnhof “Esszimmer” verlassen hat, unterbrochen würde? Oder ein Güterzug mich nun auf dem Weg in den Wintergarten geschäftig schnaubend überholt? Oder wenn eine geschlossene Schranke mich zwingt einzuhalten, weil der Schnellzug “Wohnzimmer-Küche” vorbeirauscht?
Aber noch haben wir Zeit, die wirklich schwerwiegenden Entscheidungen aufzuschieben. Inzwischen beginnen wir, wohl organisierte Menschen, die wir sind, mit dem Dachboden.
“Was liegt eigentlich da oben?” frage ich naiv. Ich selber habe den Dachboden seit Einzug nie betreten, denn das geht nur über eine steile Leiter und eine enge Dachluke. “Kisten …”, meint André vage.
Kisten, ja – mindestens ihrer dreißig. Sie enthalten Pläne von Projekten, an denen André in den letzten 15 Jahren gearbeitet hat. Sicher, er hat sie alle auf Computer, und doch waren sie der handfeste Beweis seines Schaffens. Eine Kiste nach der anderen rutscht begleitet von einer Staubwolke die Leiter herunter.
Ein Glück ist nicht weit von uns entfernt ein Recycling Center, wo man Papier entsorgen kann. Mir tut es leid, aber Andrés Entschluss, sich endgültig zur Ruhe zu setzen, und sich von seinen Bauplänen zu trennen, bestätigt seine Entscheidung und den Ruhestand.
Diesen Kisten folgen unsere gesammelten Werke, die wir gewissenhaft Jahr für Jahr für die Steuerbehörde zusammengestellt und aufbewahrt haben. Sicher, man braucht sie nur zehn Jahre aufzubewahren, aber wer verliert nicht im Laufe eines langen Arbeitsleben den Überblick und vergisst ganz einfach, was sich sowieso im Laufe der Zeit in die hinterste Reihe geschoben hat?Reizvoll wäre es ja, diese alten Belege und Quittungen mal durchzugehen. Zu sehen, welche Restaurants man damals mit Kunden frequentierte, zu entdecken, wie wenig man damals für Strom, für Benzin oder eine neue Schreibmaschine auslegen musste – aber wir rufen uns streng zur Ordnung. Entrümpeln heißt es, nicht sich in Erinnerungen ergehen.
Und eines Tages ist der Dachboden wirklich leer – ein unwahrscheinliches, wirklich nachahmenswertes Ergebnis. Mehrere Tage lang schwelgen wir in dem Bewusstsein eines ersten Erfolges. Wir können es kaum abwarten, unseren Grundstücksmakler in diese minimalistische Weite zu führen, die nur hier und da von einem Staubflöckchen durchsegelt wird.
Von so viel hat André sich nun schon getrennt, dass er sich erstmal erholen muss. Es sind noch drei Monate bis zu unserer Abreise, allerdings weniger bis zur Auktion unseres Hauses. Und ich bin nun vom Entrümpelungsfieber ergriffen! Ich entdecke eine ganze neue Seite an mir: Eine perverse, ja fast sadistische Freude am Wegschmeißen!!
Ich fange in meinem Arbeitszimmer an – alte Lehrpläne, Konjugations- und Tempusarbeitsblätter; Tonkassetten; längst ausgediente Lehrbücher landen in der blauen Tonne fürs Recycling. Die erwähnten Reiseführer wandern zum Op-Shop, sicher gibt es noch Leute, die sich nicht daran stören, dass ein “Lonely Planet: Norwegen” Alterserscheinungen aufweist.
Allerdings, den Dänischkurs (Lehr- und Arbeitsbuch plus CD) behalte ich.
Den wollte ich immer nochmal durchziehen, mir fehlte nur bis jetzt die Zeit, und nun ziehen wir fast direkt an die dänische Grenze.
Auf Föhr lebt immer noch eine dänische Minorität, es gibt eine dänische Schule, die zwei meiner Großnichten besuchen, eine dänische Kirche und dem Denkmal an den Dänischen König (irgendein Christian) wird immer noch regelmäßig von Banausen, die nichts Besseres zu tun haben, die Krone vom Kopf katapuliert. Zuletzt mussten die Föhrer sich im Jahre 1920 bei einer Volksabstimmung entscheiden, ob sie zu Dänemark oder Deutschland gehören wollten.
Obwohl Dänemark auf Föhr gewann, war der Druck Preußens zu groß – wir wurden zu Deutschen. Aber gewiss werden wir in der Zukunft über die Grenze fahren und Tondern, Ribe mit der alten Kathedrale oder die Insel Fünen zu besuchen, eventuell zum Tee bei Princess Mary, der gebürtigen Tasmanierin, in Kopenhagen einkehren. Sicher würde sie sich freuen, dass nun Landmänner ganz in ihrer Nähe wohnen.
Die Schränke und Schubladen meines Arbeitszimmer gähnen vor Leere und ich wende mich der Küche zu. Erstaunlich, was ‘Mann’ in einer normal großen Küche alles unterbringen kann! Ganz hinten in der Speisekammer steht zum Beispiel eine ganze Einweckanlage – ein beängstigend großer Topf mit Zubehör, das mir den Schweiß ausbrechen lässt. “Das stammt aus meiner Saure-Gurken-Zeit!” ruft André freudig. Damals, als man gute Gewürzgurken in Gläsern hier nur mit Schwierigkeiten finden konnte, gab es manchmal für eine kurze Zeit frische Gewürzgurken bei einigen der Gemüsehändler auf dem Wochenmarkt zu kaufen, und André lernte, seine eigenen Gewürzgurken einzulegen! Aha, aus der Zeit stammen also die Gewürzgläschen mit Senfkörnern und Einlegegewürzen!
Wir haben inzwischen einen sehr netten Mann gefunden. Sam hat einen Stand auf dem Camberwell Flohmarkt und ist bereit, alles was sich nicht zum Wegwerfen eignet, abzuholen, um es an seinem Stand anzubieten.
Die ‘Fowler-Einweck’ Menagerie kommt auf den Haufen, der für Sam designiert ist. Dazu sammeln sich Kochbücher, die uns über die Jahre zu gastronomischen Höhen und Tiefen verleitet haben. Von Margaret Fulton (Best Basic Australian Cookery) bis zu “Pooh’s Kitchen” sind dort sämtliche Nationalitäten und Geschmäcker vertreten. Nur, heutzutage googeln wir meistens, wenn wir Inspiration suchen, oder uns der Sinn nach einem authentischen Vindaloo steht. Nur mein Dr Oetker Schulkochbuch gebe ich auf keinen Fall weg! Das brauche ich allein für das klassische Käsekuchen Rezept, das einfach immer gelingt (und endlich gibt es bei Aldi in Melbourne wieder einigermaßen erstehlichen Quark - $2.50 für 200 Gramm). Auch die Küchenmaschine von Andrés Mutter gesellt sich zu Sams Haufen, zwar habe ich noch keinen Thermomix, aber wer weiß, in der neuen Küche …
Die Küche auszurüntschen ist fast eine Zeitreise! Da findet sich eine alte Zitronenpresse, in der man ein Viertelchen einer dünnen Zitronenscheibe ausdrücken kann, früher lag sowas neben dem Schollenfilet, das man im Restaurant serviert bekam; zwei Dosenöffner der Art mit schwarzem Griff, deren Eckzahnartige Spitze man mit einem heftigen Schlag des Handballens in die Dose schlug und dann mit gleichmäßigen Vor- und Rückbewegungen um den Deckelrand führte. Ich behalte sie, sie sind schier unverwüstlich und viel einfacher zu benutzen, als die neuen Modelle aus dem 2 Dollar Shop.
Bereitet noch jemand seine eigenen Würste oder sein eigenes Hackfleisch zu? Wir haben drei Fleischwölfe bester Vorkriegsqualität auf den Flohmarkt gesandt, einen behalten wir als Deko.
Nur ganz leicht angeschlagene Kaffeebecher (leider alles Einzelgänger, ihre Kameraden haben längst das Zeitliche gesegnet); Besteckteile ditto, sowie Überlebende gewisser 6er Sets: Biergläser, Weingläser und Senfgläser, die sich unbedingt als Wassergläser eignen. Ein halbes Dutzend Eiswürfelbehälter (wahrscheinlich trafen mindestens zwei mit jedem neuen Kühlschrank ein), ungewöhnlich geformte Glasflaschen, die unermüdliche Taucher aus dem Yarra Fluss fischen, und Auflaufformen, derer ich mindestens vier weggeben kann.
Und Siebe aller Art. André verabscheut Plastikgeräte in der Küche – wenn immer er ein Aluminium- oder Stahlsieb auf dem Flohmarkt oder im Op-Shop entdeckt, greift er zu. Bei uns fanden sich genug Siebe, um eine mehrköpfige archäologische Expedition in die Sahara auszurüsten. Da könnten sie nach Herzenslust den Sand sieben, um Schätze aller Art zu entdecken.
André ist seine Sammlung von alten Küchengeräten durchgegangen, die Sorte, die noch einen Holzgriff hat. Lange hat er die verschiedenen Teile erjagt, sie zu Hause mit Stahlwolle gereinigt, die oft grüne Farbe von den Holzgriffen gelöst, und sie endlich mit einem Häkchen am Griff versehen. In seiner letzten Wohnung hingen sie aufgereiht unter einer hohen Fensterbank. In unserer Küche auf Föhr haben wir nichts Ähnliches, aber diese Geräte sind Zeitzeugen. Meine Oma, die einst in unserer Föhrer Küche wirtschaftete, hätte wahrscheinlich ähnliche Geräte benutzt. Die schönsten und ungewöhnlichsten müssen mit: wie der Handmixer mit Kurbel, der Kirschsteinentferner, den man auch für Olivenkerne benutzen kann, der Pfannenheber und der Schneebesen …
Und wir haben unsere Deko-Dosen-Sammlung ausgelichtet – da ist alles von Arnotts Biskuits bis Tetley Teabags dabei. Die richtig alten, handbemalten – wie “Duckworth’s Baking Powder”, “Colman’s Mustard” und “Badford’s Roasted Nuts” - behalten wir.
Inzwischen war Sam schon viermal bei uns. Er hat Kisten mit Büchern, Säcke mit Sofakissen, Küchengeräte, einen opulenten Lampenschirm und einen Staubsauger, den man bei Überschwemmungen einsetzen kann (Wassersauger?) abgeholt. Auf Föhr leben wir weit genug vom Strand entfernt, es müsste schon eine enorme Sturmflut sein, die das Nordseewasser in unseren Keller entleert. Außerdem erwägt André, der Freiwilligen Feuerwehr beizutreten und die ist für so was – Keller auspumpen - zuständig. Ein ganzes Essservice, das uns auf dem Flohmarkt ins Auge fiel, das wir aber letztendlich doch nie benutzten und sämtliche Kisten, die Andrés Mutter gehörten und ihren Hausstand und ihre Souvenirs eines achtzigjährigen Lebens enthielten (André hatte dafür in der Garage extra eine Art Dachboden eingebaut). Sam hat auch gleich den Handrasenmäher mitgenommen – auch wir mähen inzwischen motorisiert.
Zu entrümpeln ist anstrengend. Inzwischen sind auch das Schlaf-, Wohn- und Esszimmer unserem neuen Zwang zu Opfer gefallen. Es kommt aber auch vor, dass wir uns gegenseitig erwischen, wie einer von uns, sozusagen bei Nacht und Nebel, den aussortierten Haufen durchwühlt, um das entsorgte Schuhhorn (Wo, bitte, bekommt man eins, wenn man es braucht?) oder die geliebte Handtasche, die vor mindestens drei Modetrends modern war, wieder hervorzuziehen.
Andrés virtueller Container ist um mehrere Dutzend Kisten erleichtert, er sieht nicht mehr aus wie ein überfressenes Weihnachtsschweinchen. Als nächstes müssen wir ernsthaft diskutieren, won welchen Möbelstücken wir uns trennen können.
Eines sind wir uns aber sicher: Ganz bestimmt werden wir auf Föhr unseren Haushalt um nötige und unnötige Gegenstände erweitern. Da gibt es den Sperrgutbasar und mindestens zwei gute Antiquitätengeschäfte, die darauf warten, erforscht zu werden. Wir haben einen tollen Secondhand- und Antiquitätenshop auf dem Festland gleich hinter Bredstedt erspäht und von einem optimalen Flohmarkt in Hamburg gehört; außerdem gibt es die ebay Kleinanzeigen, auf denen man wirklich gute Funde macht und Dutzende von Flohmärkten über Schleswig-Holstein verstreut.
Ganz bestimmt werden wir uns nie wieder von irgendetwas trennen!
Das nächste Entrümpeln sei unseren Erben überlassen.